Die zeitgenossische Biologiewissenschaft und unser orthodoxer Glaube

Dienstag, den 26. Juni 2007 um 20:36 Uhr
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Prof. Dr. Sergej Mironov (Kiev - Gottingen), Orthodoxes Treffen 2000

Im ersten Teil seines Vortrags hielt sich S.L. Mironov kurz mit dem Verhältnis berühmter westlicher Naturwissenschaftler jüngerer Zeit zur Religion auf, wobei er sich auf deren eigene Aussagen stützte: Leibniz, Boltzmann, Planck, Heisenberg, und viele andere. Die philosophische Verarbeitung der persönlichen wissenschaftlichen Erfahrung führte große Wissenschaftler zum Schluß, daß die von ihnen entdeckten Naturgesetze in ihrer Schönheit und Harmonie von Gott bestimmt sind.

Auch der Weg selbst, auf dem es zur Entdeckung von Naturgesetzen kommt, erscheint dem Menschen geheimnisvoll. Einstein schrieb: "Die höchste Pflicht der Physiker ist die Suche nach jenen allgemeinen grundlegenden Gesetzen, durch die man dann vermittels reiner Deduktion zu einem Weltbild kommt. Zu diesen Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur eine auf das Eindringen in den Erfahrungskern gegründete Intuition". Gibt es eine rationale Erklärung des Begriffs "Intuition"? Der Referent gab seiner festen Überzeugung Ausdruck, daß die Gelehrten über den Bau der Welt genau so viel erkennen, wie der Schöpfer zu gegebener Zeit zuläßt (oder ihnen als eine Aufgabe - auch ethisch-moralischer Art - stellt), dann ging er dazu über, Fakten aus der gegenwärtigen biologischen Wissenschaft darzulegen.

Die grundlegende Besonderheit der jetzigen biologischen Forschungen liegt im Studium der Prozesse auf Mikroebene, d.h. man erforscht die einzelnen Zellen, die inneren Zellstrukturen, Chromosomen, Gene. Diese kleinen Bausteine, aus denen der lebendige Organismus zusammengesetzt ist, sind in ihrer Struktur und Funktion tatsächlich ungewöhnlich kompliziert. Sie sind Träger aller im Organismus ablaufenden Prozesse. Die Molekularbiologie, die sich in den letzten Jahrzehnten schnell entwickelt hat, beschäftigt sich mit ihrer Erforschung. Seit Mitte der 80-er Jahre wird intensiv an dem speziellen internationalen Forschungsprogramm "Das menschliche Genom" gearbeitet, das gegründet wurde, um die Struktur und Lage aller Gene zu entschlüsseln, die im menschlichen Organismus vorhanden sind. Diese Information ist grundlegend sowohl für das Verständnis der Evolution der Moleküle und Zellen in den verschiedenen Organismen, als auch für das Verständnis der Abstammung des Menschen und anderer Lebewesen. Vor einigen Monaten wurde erklärt, man habe das vollständige menschliche Genom entziffert. Dazu ist anzumerken, daß in Wirklichkeit bislang nur vom Genom eines konkreten Menschen die Rede ist. Aber im Lauf der nächsten Jahre werden die Wissenschaftler zweifellos die Möglichkeit erarbeiten, den "genetischen Pass" eines jeden Menschen zu erhalten. Das eröffnet ungeheure Möglichkeiten für die Früherkennung und Heilung einer Fülle von Erbkrankheiten oder erblich veranlagter Erkrankungen. Schon jetzt erlauben die Methoden der Gentherapie die Heilung genetischer Pathologien während der Entwicklungsperiode im Mutterleib. Ein Gen oder ein bestimmter genetischer Strukturteil wird in die sich intensiv teilenden Zellen der Leibesfrucht eingeführt - und im Resultat wird das Kind gesund geboren. Die Gentherapie kann in der Onkologie angewandt werden sowie zur Heilung solcher Erbkrankheiten wie Diabetes, Rheumatismus, Osteoporose und ähnliche Krankheiten, die von vielen Faktoren abhängen. All das ist nur der Anfang.

Gleichzeitig aber entstehen auch rechtliche Fragen zu den Normen genetischer Testversuche, zur Vertraulichkeit von Resultaten der Genforschung, zur möglichen Verletzung von Rechten oder Freiheiten des Menschen, beispielsweise bei Vorhandensein einer Information über Erbkrankheiten oder Veranlagung zu Krankheiten im Genom eines Menschen. Über derartige Informationen werden Arbeitgeber bei der Einstellung gern verfügen wollen und Versicherungsgesellschaften beim Abschluß von Kranken- und Lebensversicherungen. Dies kann auch Einfluß auf die Entscheidung zur Eheschließung oder der Geburt von Kindern haben.

Die Frage des Klonens, d.h. die Frage nach der Geburt eines Lebewesens, das nicht auf natürliche Weise unter Verschmelzung spezieller Zellen von Vater und Mutter gezeugt wurde, sondern auf künstlichem Weg der Transplantation von Genen (sogar nicht notwendig eines lebendigen Organismus) in die Eizelle, ist eine besondere Frage. Nicht nur das künstliche Schaf "Dolly" wurde so "geschaffen", so entstehen bereits in vielen Laboratorien Klone von Mäusen. In der Presse erschien bereits die erste Information, daß gegen Ende dieses Jahres ein geklonter Junge in den USA geboren werden könnte. Ein vermögendes Ehepaar finanziert dort ein entsprechendes eigenes Projekt mit dem Ziel, ein Klon ihrer im Alter von zehn Monaten gestorbenen Tochter zu erhalten. Einstweilen ist es schwer vorherzusagen, zu welchen Enttäuschungen der Versuch des Klonens von Menschen führen wird, aber es wird sie zweifellos geben. Den Wissenschaftlern ist bereits bekannt, was bei der Entstehung eines neuen Organismus geschieht und wie er sich entwickelt, aber noch gibt es keine Antwort darauf - und wird sie wohl in absehbarer Zeit nicht geben - warum etwas genau so und nicht anders vonstatten geht. Welches "Programm" beispielsweise veranlaßt die einzelnen Stammzellen, die zu Beginn völlig gleich sind, sich bei der Heranbildung der Frucht im Mutterschoß völlig unterschiedlich zu entwickeln und die verschiedenen Organe zu bilden, Herz, Leber, Nieren, Kopf, Hände, Finger, Beine? Wer vollbringt dieses Wunder, das jedes Mal dem Erscheinen eines neuen Menschen vorausgeht?

Um zu gewährleisten, daß die Errungenschaften der heutigen Genetik dem Menschen mehr Nutzen als Schaden bringen, bedarf es großer Vorsicht bei der Anwendung bereits gewonnener Kenntnisse und Theorien. Neunzehn in der wissenschaftlichen Welt führende Länder haben deswegen das "Protokoll über das Verbot des Klonens am Menschen" unterzeichnet. Dennoch bleibt es möglich, wie wir sehen, unter dessen Umgehung Arbeiten in dieser Richtung voranzutreiben. Dabei sind allerdings noch nicht die ersten negativen Erfahrungen mit dem Klonen berücksichtigt; geklonte Mäuse zum Beispiel, die sich daraufhin auf natürlichem Weg weitervermehren, sterben in der sechsten Generation völlig aus, und es gibt keine Erklärung für diesen Verfall. Den Menschen zu klonen, ist allein technisch weitaus schwieriger, als ein Schaf zu klonen, und es ist schwer, die entferntesten Folgen für den Klon selbst vorherzusagen. Festzustellen ist auch, daß der Klon entgegen eines weitverbreiteten Irrtums bereits bei der Geburt nicht einfach eine Kopie des elterlichen Organismus ist, von dem er seinen Ursprung nimmt, ganz zu schweigen von den Faktoren, die im Wachstumsstadium des Kindes eingebracht werden. Gegenwärtig ist es schwierig, sogar rein wissenschaftliche Argumente zu finden, die auch nur im Geringsten für das Klonen des Menschen sprechen würden, ganz abgesehen von der moralisch-religiösen Seite solcher Experimente. Forscher, die der mehrheitlichen Auffassung in der wissenschaftlichen Welt zuwider dazu bereit sind, verantwortungslos die Arbeit in diese Richtung fortzusetzen, sind durch Leidenschaften wie Ehrgeiz, Eitelkeit, Neugier oder schlicht von Geldgier motiviert.

Ein sehr ernstes und eine eingehende gesonderte Besprechung erforderndes Problem besteht im sogenannten therapeutischen Klonen, das gegen Ende des Jahres 2000 in Großbritannien auf legislativer Ebene gebilligt wurde. Hier geht es um das Klonen bestimmter Gewebearten oder Organe zur Transplantation in schwerkranke Menschen. Allerdings ist es hierbei unmöglich, das Stadium des Entstehens und der allerersten Entwicklung des menschlichen Embryos zu umgehen, dessen Stammzellen späterhin verwendet werden. Für den Gläubigen, der die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an anerkennt, sind solche Experimente unannehmbar.

Die Aktualität des Vortrags (BSE, Klonen, Heilen von Krankheiten durch Gentherapie) fesselte die Zuhörer so, daß der Referent immer wieder einlenken und auf Fragen antworten mußte. Das Thema unmittelbar so zu entfalten, wie es ursprünglich formuliert worden war, nämlich über die Wechselbeziehungen zwischen den "heutigen Ergebnissen der biologischen Wissenschaft" und "unserem orthodoxen Glauben" zu sprechen, gelang letztlich nicht. Ein derart angelegtes Thema würde aber schon an sich wohl eine andere Bezeichnung verlangen, etwa: "Orthodoxer Glaube und Wissenschaft" (jegliche, die alte wie die moderne, die sich eben mit der Erforschung der Schöpfung befaßt). Ausgangspunkt eines solchen Vortrags würden nicht philosophische Aussagen andersgläubiger westlicher Wissenschaftler der jüngeren Zeit sein, sondern die Heilige Schrift, d.h. die Offenbarung des dreieinigen Gottes, in der Gott dem Menschen und der Menschheit alles offenbarte, dessen sie bedarf, um gerettet zu werden, und das bis zum Ende der Zeiten. Dies unter dem Aspekt der Lehre der heiligen Väter und Lehrer der Kirche, die sich auf die Offenbarung und zugleich die persönliche begnadete Erfahrung der Gotteserkenntnis stützen. Angefangen vom Apostel Paulus, dessen Briefe reich an Belehrung darüber sind, wie sich der Christ zur "Wissenschaft" verhalten soll, zur menschlichen, fleischlichen Weisheit, und zu den Lehren von den Naturgewalten dieser Welt. Hierzu haben uns die heiligen Väter aus allen Jahrhunderten klare Anweisungen hinterlassen, die die Einstellung des Christen bestimmen sollten und seine Freiheit wie auch eine echte innere Freiheit der Wissenschaft verbürgen. Selbst die Äußerungen zeitgenössischer Wissenschaftler, die am Anfang des Vortrags von S. L. Mironov genannt worden sind, geben Zeugnis davon, daß die heutige westliche Zivilisation, die die Weltanschauung der humanistischen "Renaissance" geerbt, welche ihrerseits wissenschaftliche und philosophische Lehren der hellenischen und chaldäischen Weisheit wiedergeboren, sich angeeignet und entwickelt hat, ihrem Wesen nach letztlich gottesfeindlich ist. Mit ihrer Sicht der Schöpfung ist sie als "Lehrerin der Gotteserkenntnis" jedenfalls nicht über die einstigen heidnischen Weisen hinausgelangt. Gott die Qualität eines hervorragenden Mathematikers (Biochemikers, Genforschers, usw.) zuzugestehen, war auch etwa den Pythagoräern und Gnostikern keineswegs fremd, doch ist es von da noch ein sehr weiter Weg zu der richtigen und tatsächlich rettenden Gotteserkenntnis, die eben im Schoß der Orthodoxen Kirche möglich ist, welche die "Wissenschaft des Heiligen Geistes" bewahrt hat. Diese ist "die einzige Wissenschaft, die das empfindliche Geschöpf, das Mensch heißt, lehren kann, den Tod zu überwinden und Unsterblichkeit zu erringen" (Vr. Justin Popovic). Nur die Beheimatung in der Kirche und die Orientierung an ihr kann - im Licht der ewigen göttlichen Wahrheiten - eine richtige Auffassung der menschlichen Wahrheiten vermitteln, die relativ und in ständigem Wandel begriffen sind, und so dem orthodoxen Gläubigen helfen, der heutigen Wissenschaft und Technik gegenüber die entsprechende Einstellung entgegenzubringen.