Über das Mysterium der Buße und Beichte

Mittwoch, den 19. April 2006 um 22:35 Uhr
Drucken

Vortrag von Erzbishof Mark - Orthodoxes Treffen 2001

Zu Beginn des Vortrags lenkte der Bischof die Aufmerksamkeit der Hörer auf die historische Entwicklung, in der es lange Zeiträume gab, während deren die Buße und insbesondere die Beichte fast ganz aus dem Leben der Christen verdrängt war, wie etwa im 18. - 20. Jh. In dieser Zeit hielt man es etwa in Russland für gewöhnlich, wenn man einmal im Jahr beichtete und die Kommunion empfing. Eine solche Praxis herrschte bis vor Kurzem auch in Serbien oder Griechenland. Bei weitem nicht alle Priester hatten das Recht, die Beichte abzunehmen. Häufig verlieh man dieses Recht nur Geistlichen im Alter über 50 Jahre oder Priestermönchen.

Im Laufe der vergangenen 30-35 Jahre war jedoch in allen Ortskirchen eine Rückkehr zu den Wurzeln zu verzeichnen, in deren Verlauf auch die Bedeutung der Beichte wieder Beachtung fand. Wenn sich Christen von der häufigen Beichte entfernen, verlieren sie das Gefühl der Sündhaftigkeit. Viele legen sich nicht einmal darüber Rechnung ab, warum sie sündigen. Der sel. Metropolit Antonij Chrapovickij schrieb darüber: „Drei viertel, oder vielleicht neun Zehntel unserer Sünden, Fehler und sogar Verbrechen geschehen deshalb, weil die Menschen nicht über ihre Worte und Taten nachdenken wollen, bevor sie etwas sagen oder tun“. Wer nicht an sich arbeitet, der weiß nicht, welche ungeheure Bedeutung für die Seele und für ein vernünftiges Leben es hat, wenn man sich wenigstens für eine Minute von der umgebenden Geschäftigkeit loslöst, und die Gedanken und das Gewissen darauf konzentriert, was der Herr von dir in den gegeben Umständen und im gegebenen Moment erwartet“.

Wären wir uns immer der Nähe Gottes bewusst, würden wir nicht sündigen. Es hilft auch, wenn man sich öfters daran erinnert, was die kirchlichen Kanons hinsichtlich dieser oder jener Sünde sagen. Für Unzucht, z.B. wird man für sieben Jahre von der Teilnahme an den Heiligen Gaben ausgeschlossen, für Ehebruch auf 15 Jahre, für Übertretung des Fastens – 2 Jahre. Von Tränen begleitete Buße, Mildtätigkeit, Eintritt in den Mönchsstand können diese Fristen verkürzen. In der Praxis wenden heutige geistliche Väter solche strengen Epitemien infolge des allgemeinen Verfalls der Moral unter Christen nicht an.

Buße, Vergebung der Sünden und Kommunion sind nur sinnvoll, wenn sie von der Entschlossenheit zur Überwindung des sündigen Zustandes getragen und begleitet sind. Solche Entschlossenheit hilft Wiederholungen einzuschränken und – vielleicht in der letzten Lebensminute – die Sünde endgültig zu überwinden.

Die Störung aller Fähigkeiten der menschlichen Seele in ihrem gefallenen Zustand behindert wahre Buße und richtige Beichte. Unter den häufigsten Problemen, von welchen Beichtende gequält werden, erwähnte der Bischof folgende:

1. Unglauben (tatsächlicher oder vermeintlicher, wenn jemand meint, er glaube nicht oder wenig). Unglaube ist mangelnder Wille, der vom Geist des Zweifels angesteckt ist. Dazu trägt die weltliche Erziehung bei. Wichtig ist, ob man glauben will oder nicht. Es hilft, sich Fälle der Heilung vom Unglauben aus dem Evangelium in Erinnerung zu rufen oder von Heilungen auf Grund großen Glaubens.

2. Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Leib und Blut Christi. Wenn wir glauben, dass das Wort Gottes Fleisch angenommen hat, so müssen wir Seinen Worten trauen: „Wer an Mich glaubt, der wird die Werke, die Ich tue, auch tun, und wird noch größere als diese tun; denn Ich gehe zu Meinem Vater“ (Jo 14, 12). Die unverständigen Protestanten glauben an die Wunder, die die Apostel gemäß der Apostelgeschichte vollbrachten, nicht aber an die, die in den Heiligenviten verzeichnet sind. „Wenn sie auch etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden“ – sagt der Herr im Evangelium (Mk. 16, 18) Im der Vita des hl. Ap. Johannes ist ein Fall beschrieben, der in der Hl. Schrift nicht verzeichnet ist: man wollte ihn mit Gift töten, doch dieses fügte ihm keinen Schaden zu.

3. Einbildung. Man muss zwischen wirklichem und vermeintlichem Unglauben und Zweifel unterscheiden. Dieses Laster haftet besonders intelligenten Menschen an: „solche Gedanken des Unglaubens entstehen in den Seelen zweiflerischer Menschen, die all ihre Gefühle gerne abtasten und von Angst erfüllt sind, irgendwo einen Fehler zu begehen, in irgend eine Angelegenheit nicht recht zu handeln“ (Metr. Antonij). Solche Einbildung wird oft begleitet von gotteslästerlichen Gedanken. Wenn es für einen Christen keinen ernsthaften Argumente gegen die Wahrheiten des Glaubens in seinen Überzeugungen gibt, dann soll er nicht meinen, er glaube nicht, selbst wenn es ihm mitunter so scheint, sonders er sollte ruhig beten.

4. Viele stört die Furcht, die Sünde einzugestehen, Scham vor dem Priester, besonders wenn sich die Sünden wiederholen. Sie sollten bedenken, dass der Priester selbst mit denselben Sünden zu kämpfen hat.

5. Furcht vor vergessenen oder unbemerkten Sünden. Wir müssen daran denken, dass wir in den Gebeten immer um Verzeihung der bewussten und unbewussten Sünden beten. Wenn wir zur Buße treten, müssen wir stets der Barmherzigkeit des Herrn eingedenk sein.

6. Verzweiflung ist eine geistliche Krankheit, die fast jeden Menschen zu irgendeiner Zeit erfasst. Ihre Grundlage ist Kleinglaube oder Unglaube. Man hört auf die Eingebungen des Teufels, der glauben machen will, man sei ein so großer Sünder, dass es kein Erbarmen mehr gebe. Dagegen muss man immer die Rettung des bußfertigen Schächers halten, Zacchäus, die Ehebrecherin...

Der Verzweiflung liegt nach den Worten von Metropolit Antonij „Aufbegehren und Vorwurf gegenüber der Vorsehung zugrunde, dass sie mich in solche Sünde verfallen ließ. Vertreibe dieses boshafte Gefühl gegen Gott und die Menschen. Gib zu, dass du selbst an allem Schuld bist. Du hast dich den Einflößungen des Teufels und böser Menschen anheim gegeben und hast dich gehen lassen. Nicht Gott hat dich beleidigt, sondern du hast Gott vergrämt“.

7. Die Neigung zur Selbstrechtfertigung steht der Verzweiflung gegenüber, hindert jedoch genauso an fruchtbringender Buße. Sie wird durch die moderne Erziehung eingeimpft und geht häufig einher mit Sorglosigkeit und versteinerter Gefühllosigkeit. Selbstrechtfertigung grenzt an Kleinglauben. Man muss die Sünde hassen und bewusst den Kampf mit ihr aufnehmen. Die Predigt Christi wurde von den einen angenommen, von den anderen verworfen. Wer vom Geist der Selbstrechtfertigung beherrscht war, sich selbst als anständigen Mensch ansah, lehnte die Predigt von der Buße ab.

Mag der Herr dich rechtfertigen, aber nicht du selbst. Die Bereitschaft, sich zu beschuldigen anstatt anderer ist eine große Tugend. Der Selbstrechtfertigung leistet die Neigung des Menschen sich mit anderen zu vergleichen Vorschub. Es reicht daran zu denken, dass deine Tugend nicht solchen Versuchungen ausgesetzt war, wie die deines gefallenen Bruders. Überlege dir, dass dieser Mensch, über den du dich erhebst, in seinem Leben nicht die guten Einflüsse von Menschen oder Bücher oder die Gaben Gottes erhalten hat, die dir zuteil geworden sind, weshalb es ihm schwerer fiel den Verlockungen der Sünde zu widerstehen.

Der Hl. Simeon der neue Theologe sagte, dass man ohne viele Tugenden gerettet werden kann, niemand aber ohne den Geist der tränenreiche Buße für die Sünden und Freude über das Erbarmen Gottes gerettet worden ist.

Danach verharrte Erzbischof Mark kurz auf einer geistlichen Krankheit anderer Art, gegen die selbst ein gläubiger und frommer Mensch nicht gefeit ist.

In die geistliche Verblendung verfallen nicht selten sogar eifrige Asketen. Der Eifer gegenüber äußere Askese führt Menschen, die deren Bedeutung überschätzen, häufig zur Verblendung. Dies geschieht besonders leicht dann, wenn man ohne erfahrenen geistlichen Führer handelt. Es geschieht, dass jemand anfängt „Engel“ zu sehen, die mit ihm sprechen, dass er im Traum „Offenbarungen“ erhält, ein „Auserwählter Gottes“ zu sein meint u.ä.

Verblendung kann eine ganze Gemeinschaft ergreifen, eine Diözese – denken wir an die Verehrer des Namens Gottes auf dem Berg Athos, an die Gottesanbeter in Serbien zu Beginn des 20. Jh. u.ä. Auch in unserer Zeit gibt es in Russland viele Menschen, die von dieser geistlichen Krankheit erfasst sind.

Allgemeines Merkmal der Verblendeten ist ein Zustand der Unruhe und der Gereiztheit, wenn sie bloßgestellt werden.

Danach sprach der Bischof über solche Erkrankungen des Willens und des Herzens wie Zorn, Ehrgeiz und Stolz. Der Glaube an sich zwingt den Menschen nicht zu guten Werken, wenn er sich nicht in zwei Gebieten des geistlichen Kampfes und der Askese übt: dem Widerstand gegen sich selbst und der Selbstüberwindung. Der Herr schenkte uns den Zorn zum Kampf gegen die Sünden und Dämonen, wir aber wenden ihn gegen den Nächsten.

Im Kampf gegen den Zorn ist es hilfreich, sich an die Worte des Psalmensängers zu erinnern: „mit denen, die den Frieden hassen, lebte ich in Frieden

Zornlosigkeit und Sanftmut ist das Licht, das sich über unsere Umwelt ergießt.

Das Fehlen des Zorns und die Sanftmut des Herrn reizten die hoffärtigen Pharisäer, und gleichzeitig war die Sanftmut einer der Hauptgründe für die Verbreitung des Christentums: selig die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde erben (Ps. 36, 11).

Wir müssen uns immer dessen bewusst sein, dass nach den Worten des Lieblingsschülers des Herrn derjenige, „der seinen Bruder hasst, der ist ein Mörder“. (1. Jo 3, 15).

Das wirksamste Heilmittel gegen den Zorn ist: um Verzeihung bitten. Wenn man sich nicht mit seinem Nächsten aussöhnt, sind alle Gebete vergebens. Sanftmut, Demut, Aussöhnung mit dem Nächsten werden von Stolz und Eitelkeit untergraben. Eitelkeit jagt menschlichem Ruhm und Berühmtheit nach, weshalb sie häufig lächerlich erscheint und dem Menschen Schande anstelle von Ruhm einbringt. Der Stolz ist gefährlicher. Er stellt einen feineren Zustand der Gewissheit der eigenen Würde und Errungenschaften dar und deren genüssliche Betrachtung, wobei der Mensch vergisst, dass all diese Errungenschaften Gottes Gaben sind. Um nicht in Stolz zu verfallen, muss man jeglichen Lob von sich weisen, um Verzeihung bitten und ohne zu murren Strafen und Bloßstellungen ertragen.

Zum Abschluss seines Vortrags wies Erzbischof Mark darauf hin, dass Epitemien, die vom Priester nach der Beichte der Sünden auferlegt werden, häufig falsch verstanden werden und Furcht erzeugen. Dazu muss man bedenken, dass der Beichtvater kein Richter ist, sondern dazu berufen, geistlicher Arzt zu sein. Deshalb verschreibt er eine Epitemie nicht als Strafe, sondern als Heilmittel. Leider ist unser kirchliches Bewusstsein von römisch-katholischen Verzerrungen vergiftet – die Katholiken glauben an einen strafenden Gott. Die Epitemie ist eine Medizin. Insbesondere ist der Ausschluss von der Kommunion keine Bestrafung, sondern eine Schutzmaßnahme für den Menschen, damit er nicht von dem Feuer verbrannt wird, welches man in den Heiligen Gaben empfängt. Der Beichtvater darf in sich nicht die geringste Verurteilung oder Überheblichkeit gegenüber dem Büßenden zulassen, sondern muss sich immer von Mitgefühl und Mitleid ihm gegenüber leiten lassen.

Nachdem Erzbischof Mark Fragen zum Thema der Buße beantwortet hatte, traten die Tagungsteilnehmer in der Kirche, wo mehrere Priester vor, während und nach dem Abendgottesdienst die Beichte abnahmen, zu diesem heiligen Sakrament.

Vortrag von Erzbishof Mark im Orthodoxem Treffen 2001