Orthodoxes Treffen - 2005

Donnerstag, den 29. Dezember 2005 um 13:16 Uhr
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Vom 26. bis zum 28. Dezember 2005 fand an der Kathedrale in München die traditionelle alljährliche Orthodoxe Tagung statt. Wie gewohnt, wurden während der Tagung in der Kathedrale täglich Gottesdienste zelebriert, die Teilnehmer beichteten und empfingen die Kommunion.

Zur Tagung waren drei Referenten geladen: Erzpriester Nikolai Artemoff, Priester André Sikojev und S. V. Chapnin aus Moskau.

Im ersten Vortrag beschrieb Erzpriester Nikolai Artemoff den Ablauf des Sakraments der Taufe und erklärte im Einzelnen die Gebete und Handlungen. Vorab – was gewöhnlich am Eingang, oder vor dem Eingang zur Kirche geschieht: die Absage an den Satan, den Gottesfeind, die Zusage und Hinwendung zu Christus. Dann wurden die Tiefe und die Schönheit der Gebete zur Wasserweihe erschlossen. Das  dreimalige Untertauchen mit der Anrufung der Dreiheit, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, bezeichnet das Begräbnis in den Tod Christi  und das Hinaustreten in das neue Leben, in die neuen Dimensionen der Auferstehung Christi, des Gottessohnes, zum Empfang der "Sohnschaft", zur Teilhabe am göttlichen Leben. Besonderes Augenmerk richtete der Vortragende auf das darauf folgende und mit dem ersten verbundene zweite Sakrament, nämlich die Myronsalbung, die als "Siegel der Gabe des Heiligen Geistes" verliehen wird.  Alle Sinne des Neugetauften werden mit einem besonderen, wohlriechenden Firmöl (Myron) gesalbt, das von einer Versammlung von Bischöfen geweiht wurde. Die Salbung erfolgt durch Kreuzzeichen, die mit einem Pinsel gesetzt werden: auf die Stirn (Denken), auf die Augenlider (Sehen), unter die Nasenflügel (Atem, Riechen), auf die Ohren (Hören) und den Mund (Schmecken und Sprechen), das Herz (Fühlen), Hände (Handeln) und Füße (Bewegung im Raum). Das griechische Wort "Christos" bedeutet: Gesalbter. Der Christ wird gesalbt, damit alle Sinne und Lebenskräfte des Menschen königlich wirken im Christusreich, dem Reich Gottes. In dem Vortrag wurde ein sehr ganzheitliches Bild unseres Eintritts in die Kirche als dem lebendigen Leib Christi gezeichnet, wobei auch unterstrichen wurde, dass die Fortsetzung des Lebens in Christus, gemäß dem Wort des Erlösers selbst, untrennbar mit der Teilnahme an allen Seinen Sakramenten verbunden ist, besonders an der Heiligen Kommunion.

Seinen zweiten Vortrag widmete Erzpriester Nikolai Artemoff der Epoche des großen Umbruchs im 17. Jahrhundert, den Beziehungen zwischen dem Zaren Alexej Michajlovič und dem Patriarchen Nikon. Vom 17. Jahrhundert an steuerte Russland beständig auf das Jahr 1917 zu. Der Umbruch in den Beziehungen zwischen der Kirche und dem Staat wurde vollendet durch den gottesfeindlichen Staat. Obwohl die Kirche in dieser Welt lebt, sind ihre Ziele doch höher als die staatlichen. Eine Zusammenarbeit auf der gesellschaftlich-sozialen Ebene und in Fragen des Erziehungswesens ist wünschenswert. Unzulässig aber ist der Zugriff des Staates auf die Seele des Menschen. Die pastorale Verantwortung führt hier zum Widerstand gegen die irdischen staatlichen Bestrebungen um der Verteidigung der höchsten Werte willen. Patriarch Nikon blieb nicht nur unverstanden in einem solchen Konflikt,  sondern ganz offensichtlich sind die Intrigen der Bojaren und die Ungerechtigkeit, mit der Gericht über ihn gehalten wurde. Es ist äusserst erstaunlich, unterstrich Vater Nikolai, dass die umfangreichen Schriften des Patriarchen Nikon, die er zur Verteidigung seiner Ideen verfasst hatte, im 19. Jh. ins Englische übersetzt und in einer sechsbändigen Londoner Ausgabe kommentiert wurden,  erst in unseren Tagen, endlich in Russland herausgegeben wurden. Das Bild von Patriarch Nikon wird in der historischen Wissenschaft noch zu klären sein, denn es ist weitgehend verzerrt, sogar bei solch hervorragenden Historikern wie S. M. Solov’ev.

In seinem ersten Vortrag stellte Sergej Chapnin die offizielle Kirchenzeitung "Cerkovnyj Vestnik" vor (er ist verantwortlicher Redakteur). Dann widmete er sich der Frage der orthodoxen Kinderliteratur in Russland. Dies wurde ergänzt von seinen Eindrücken aus einer Vielzahl von Reisen durch die Weiten des Landes, was die Wiederherstellung des kirchlichen Lebens und die damit verbundenen innerkirchlichen Prozesse betrifft. Dem Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, ein lebendiges Gespräch zwischen dem Vortragenden und der Zuhörerschaft.

Am folgenden Tag zeigte Sergej Chapnin die Multimedia-Präsentation "Bildsysteme: Von der Ikone zur Reklame", die auf der Arbeit einer Forschungsgruppe im Rahmen des Verlagsrates der Russischen Kirche basiert. Das Thema dieser Arbeit ist die Struktur von Bildern und Bildsystemen in unserer Zeit. Auf diesem Gebiet erweist sich, das die Massenkultur immer mehr danach strebt, die Methoden sakraler Künste zu beherrschen, um eine Imitation des "Heiligen" in einer "neuen Synthese" von Kunst und Religion zu erstellen.

Die Präsentation beruht auf der Grundlage der Lehre der Heiligen Väter (Basilius des Großen, Johannes von Damaskus, Simeon des Neuen Theologen, Maximus des Bekenners) sowie zeitgenössischer Philosophen, Kulturwissenschaftler, Politologen und Religionswissenschaftler (R. Guenon, M. Eliades, S. Zizek, A. Genis u. v. a. m.). Sechs Stufen der Degradierung in der Beziehung des Bildes zur Realität wurden mit Beispielen belegt – von der Ikone, dem geistlichen Bild, bis zur zeitgenössischen Kunst und Reklame.  Es ist ein bedauerliches Faktum, dass heutzutage sogar orthodoxe Menschen die Bildsprache der Ikone nicht verstehen, die geschaffen ist, um das zu zeigen, was das Auge nicht sehen kann. Die Prinzipien dieser geistlichen Kunst sind an die Peripherie des sozio-kulturellen Raumes gerückt, während zugleich dieselben Prinzipien ausgiebig von der Symbolsprache der Reklame verwendet werden. Das, was in der Ikonenkunst der geistlichen Erkenntnis dient (z.B. die umgekehrte Perspektive, die ontologische Schule der Maße, die Beziehung "lebendig-unlebendig"), wird jetzt zum Dienst an der Konsumgesellschaft eingesetzt. Obwohl eine ganze Reihe von Beispielen im Saal ein Lachen hervorrief, waren sich doch alle einig, dass diese Tendenzen die Aufnahmefähigkeit des Menschen für die orthodoxe Sicht der Dinge behindern können und keineswegs als ungefährlich einzustufen sind.

Sergej Chapnin berichtete auch über das Experiment einer auf den Resultaten der Forschungsarbeit beruhenden Gegenkampagne "Ursprünglicher Sinn des Wortes". Reklameslogans bekannter Firmen, wie "Du denkst immer an uns", "Die Zukunft liegt in Deinen Händen" wurden mit der Ikone des Erlösers verbunden. Damit wurde den Menschen klargemacht, dass die Reklame eine Sprache benutzt, die sich des echten Sinnes bedient, der aus einem völlig anderen Kontext stammt, diesen Sinn aber verfälscht. Die Forschungsarbeit gründet auf der "Theorie des Ikonischen" des in Ungarn arbeitenden orthodoxen Philologen Valeri Lepahin. Auch ein Praktiker – der Ikonenmaler Pavel Buslaev – nimmt an der Arbeit teil.

Priester André Sikojev hielt den Vortrag "Das Patriarchat – Ursprünge und Bedeutung".

Er legte die Entwicklung der nachapostolischen Kirchenstrukturen dar und zeigte auf, dass die Patriarchate sich erst allmählich auf der Grundlage der Struktur der Metropolitankreise entwickelten. Die Metropolien waren Kirchenzentren, weil sich hier in der Verbindung mit den staatlich-administrativen und ökonomischen Strukturen auch das gesellschaftliche Leben konzentrierte. Als Zentren mit vornehmlich missionarischer Bedeutung erhielten  die Patriarchate im Konzil von Nicäa (325) eine besondere Verantwortung für die anderen Kirchen ihres Gebiets. Zu eigentlichen Patriarchaten in unserem Sinne wurden die Metropolien mit dem jeweiligen Patriarchen ihrer Spitze jedoch erst in Chalkedon (451). Die Kiever Rus’ war eine Metropolie im Patriarchat Konstantinopel, und auch die kirchlichen Oberhäupter der Russischen Kirche, die sich 1448 für autokephal erklärt hatte, trugen den Titel "Metropolit von Kiev und ganz Rußland". Der erste russische Patriarch ist Hiob (1589). Zehn Patriarchengenerationen später zerbrach die Harmonie zwischen Zar und Patriarch (darüber sprach Erzpriester N. Artemoff).

Gestützt auf letztlich antichristliche Ideologien westlicher Prägung, lässt Peter I. keinen neuen Patriarchen zu, sondern richtet eine Synodalstruktur ein und verstaatlicht diese durch einen "Ober-Prokuror". Die Selbsternennung des Imperators Paul I. zum Oberhaupt der Kirche war nach den Worten des Metropoliten Antonij Chrapovizkij eine "Blasphemie mystischen Charakters", und lädt damit die  „Verdammnis auf Russland". Nach Metroplit Antonij ist dies die Wurzel der russischen Revolution. Der Zar blieb ohne kirchlich-geistlichen Beistand.

Weiterhin widmete Vater André seinen Vortrag dem kirchlichen Wirken des Metropoliten Antonij, der sich für die Wiederherstellung des Patriarchenamtes in der Russischen Kirche einsetzte. Dessen ekklesiologische Sicht fasste der Referent folgendermaßen zusammen: Das Haupt der Kirche ist Christus, der in den Sakramenten und durch die Liebe in den Hirten wirkt. Der Priester vereint in seinem Herzen die Gemeinde durch die Liebe; der Bischof – die Diözese; der Metropolit vereint mehrere Diözesen, die durch Territorium und Traditionen verbunden sind; der Patriarch schließt in seinem Herzen das gesamte Volk der Ortskirche ein und steht ihm geistig vor. Er vereint die Gläubigen seiner Kirche mit der ökumenischen Orthodoxie und den einzelnen Orthodoxen Kirchen.

Die Bolschewiki setzten sich die Vernichtung der Kirche zum Ziel. Wenn die petrinischen Reformen die Kirche dem Staat untergeordnet hatten, so hat die "Loyalitätserklärung" des Metropoliten Sergius (1927) diesen Umbruch im Kontext des gottfeindlichen Absolutismus abgebildet.

Nicht von ungefähr zeigt sich die geistliche Bedeutung des Patriarchenamtes besonders in den Zeiten der Wirren, innerkirchlicher Konflikte oder kirchlicher Wiedergeburt. Leuchtende Beispiele hierfür liefern die Moskauer Patriarchen Hermogen und Tichon. Aber auch der tägliche, von außen oft nicht wahrgenommene Dienst eines Patriarchen am Volk ist in diesem Sinne bedeutsam und, -wie unsere Zeit belegt-, schenkt dem Leben eines Volkes die nötige geistliche Einheit. Vater Andrej zeigte das an den Beispielen der zeitgenössischen Patriarchen  – Pavle von Serbien, Ilja von Georgien und Alexij II. von ganz Russland.

Am letzten Tag der Tagung fand ein "Runder Tisch" statt, der die "Einheit der Kirche" zum Thema hatte, und an dem Erzbischof Mark und Bischof Agapit, sowie die oben genannten Referenten teilnahmen.
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