Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten

Samstag, den 25. Juni 2016 um 19:28 Uhr
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Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird.
Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach tun wird; und geschieht nichts Neues unter der Sonne.
Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu?
Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind.
Man gedenkt nicht derer, die zuvor gewesen sind; also auch derer, so hernach kommen,
wird man nicht gedenken bei denen, die darnach sein werden.  (Der Prediger Salomo, 1.9 - 11)

In dem Maße,  wie die Welt abfällt vom christlichen Glauben, wird immer deutlicher,  dass das Leben der Christen dem einstigen Leben der Christen in der heidnischen Gesellschaft ähnlich senden wird - so, wie es in den ersten Jahrhunderten nach der Geburt und Auferstehung Christi, als unter verschiedensten Vorwänden die Christen verfolgt wurden.

Von der gegen alle geübten Unparteilichkeit erwarten auch wir, daß wir nicht deshalb gehaßt und bestraft werden, weil wir Christen heißen (wie kann denn der Name uns schlecht machen?), sondern daß bei jeder Anklage, die man gegen uns erhebt, eine Untersuchung stattfindet und dann die von der Anklage Freigesprochenen entlassen, die als schlecht Befundenen bestraft werden, nicht auf den Namen hin (denn kein Christ ist schlecht, es müßte denn nur sein, daß er sich heuchlerisch so nennt), sondern auf Grund des Unrechtes.

Wir haben uns ein Herz gefaßt, unsere Angelegenheiten zur Sprache zu bringen (diese Rede soll Euch den Nachweis liefern, daß wir widerrechtlich und gegen alle Satzung und Vernunft Verfolgung leiden), und legen Euch die Bitte vor, auch in unserer Sache nach dem Rechten zu sehen, damit wir nicht länger mehr Schlachtopfer der Angeber sein müssen.

Denn unsere Verfolger haben es eigentlich nicht auf unsere Güter abgesehen, wenn sie unsere Bestrafung betreiben, nicht auf unsere bürgerliche Ehre, wenn sie Schimpf auf uns häufen, nicht auf sonst eines der geringeren Güter, wenn sie uns in Schaden stürzen; solche Güter schlagen wir nämlich nicht hoch an, mögen sie auch der Menge erstrebenswert erscheinen. [Denn wir haben die Lehre empfangen, Leute, die uns quälen, nicht ebenfalls zu schlagen, und Leute, die uns vertreiben und ausrauben, nicht einmal vor Gericht zu fordern, sondern ersteren, wenn sie uns schmählich auf die Schläfe schlagen, auch die andere Seite des Kopfes zum Schlage darzubieten und letzteren, wenn sie uns den Leibrock nehmen, auch noch den Mantel auszuliefern. Nein, unser Leib und unser Leben ist es, worauf die Nachstellungen der Verfolger zielen, wenn es keine Güter mehr bei uns zu holen gibt. So erklären sich auch die vielen Beschuldigungen, die sie über uns ausstreuen. Aber all diese Dinge lassen wir uns nicht einmal in Gedanken beikommen.

Kann uns jemand ein kleines oder größeres Unrecht nachweisen, dann sind wir die letzten, die um Abwendung der Strafe bitten, ja wir verlangen in diesem Falle die empfindlichste und schonungsloseste Ahndung.

Ich überlasse es Euch, die Schriften selbst einzusehen und zu prüfen, damit Ihr mit der gehörigen Einsicht den brutalen Mißhandlungen, mit denen man uns quält, ein Ende macht.

Daß ich unsere Lehre ausführlich behandle, möge Euch nicht befremden. Denn ich tue dies deswegen, damit Ihr Euch nicht von der unvernünftigen Tagesmeinung mitfortreißen laßt, sondern Einblick in die Wahrheit bekommt. Schon durch die bloßen Lehrsätze, an denen wir festhalten (diese sind eben nicht Menschenweisheit, sondern göttliche Aussprüche und Offenbarungen), können wir Euch überzeugen, daß wir keine Atheisten sind. Welches sind also unsere Lehren, in denen wir erzogen werden? „Ich sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder werdet des Vaters in den Himmeln, der seine Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“.

Bei uns könnt Ihr ungebildete Leute, Handwerker und alte Mütterchen finden, die, wenn sie auch nicht imstande sind, mit Worten die Nützlichkeit ihrer Lehre darzutun, so doch durch Werke die Nützlichkeit ihrer Grundsätze aufzeigen. Denn nicht auswendig gelernte Worte sagen sie her, sondern gute Taten zeigen sie auf: geschlagen nicht wieder zu schlagen, ausgeraubt nicht zu prozessieren, den Bittenden zu geben, die Nebenmenschen wie sich selbst zu lieben.

Würden wir uns nun solcher Reinheit befleißen, wenn wir nicht glaubten, daß Gott über der Menschheit walte? Gewiß nicht; sondern weil wir überzeugt sind, daß wir Gott, der uns und die Welt erschaffen hat, über unser ganzes Erdenleben einst Rechenschaft geben müssen, deshalb entscheiden wir uns für das maßvolle, menschenfreundliche und unscheinbare Leben, im Glauben, daß uns hier auf Erden, selbst wenn man uns das Leben nimmt, kein Übel zustoßen wird, das so groß ist wie die Güter, die wir im Jenseits aus der Hand des erhabenen Richters für unser sanftmütiges, menschenfreundliches und anständiges Leben erhalten werden.

So wißt Ihr auch, daß wir uns nie auch nur eine ganz kurze Gedankensünde erlauben, denn da Gott die Richtschnur für unser Leben bildet, so ist es unser eifrigstes Bestreben, daß das Leben eines jeden von uns in Gottes Auge schuldlos und untadelig sei. Hätte wir nämlich den Glauben, daß sich unser Leben auf diese Welt allein beschränke, so könnten wir wohl auch in den Verdacht kommen zu sündigen, etwa indem wir den Regungen des Fleisches und Blutes nachgeben oder der Gewinnsucht und Begehrlichkeit unterliegen. Nachdem wir aber wissen, Gott wacht Tag und Nacht über unsere Gedanken und Worte, er sieht, da er ganz Licht ist, auch unser Inneres, nachdem wir ferner überzeugt sind, wir werden nach diesem Leben ein anderes Leben führen, entweder ein besseres als das gegenwärtige, ein himmlisches, kein irdisches, insofern wir bei Gott und mit Gott sein werden, durch nichts mehr in der Seele beeinflußt und beirrt, nicht als Fleisch, obwohl wir Fleisch noch haben werden, sondern als himmlischer Geist, oder, wenn wir mit den übrigen zusammenfallen, ein schlechteres, ein Leben im Feuer (denn Gott hat uns nicht wie Herdenvieh und Zugtiere als Nebensache erschaffen mit der Bestimmung umzukommen und zu verschwinden), nach all dem ist nicht zu erwarten, daß wir Schlechtes begehen und uns der Bestrafung des großen Richters aussetzen wollen.

Wir  sind von einem unterschiedslosen Geschlechtsverkehr so weit entfernt, daß uns nicht einmal ein begehrlicher Blick erlaubt ist. „Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren,“ heißt es, „hat schon die Ehe gebrochen in seinem Heizen.“ Was berechtigt, an der Reinheit des Lebenswandels derer zu zweifeln, die von den Augen keinen weiteren Gebrauch machen dürfen als den, wozu Gott sie bildete, nämlich daß sie uns Licht seien, denen also schon der sinnliche Blick als Ehebruch ausgelegt wird, weil die Augen anderen Zwecken dienen, und bei denen das kommende Gericht sich sogar auf das bloße Denken erstreckt? Denn unsere Verantwortung erfolgt nicht nach Menschensatzungen, denen ein Bösewicht wohl auch entgehen kann, sondern wir haben ein Gesetz, einen Auftrag, der bewirkt hat, daß wir in der rechten Selbst- und Nächstenliebe das Vollmaß der Gerechtigkeit erblicken. Je nach dem Alter betrachten wir daher die einen als Söhne und Töchter, andere behandeln wir wie Brüder und Schwestern, die Älteren ehren wir wie Väter und Mütter. Und nun liegt uns alles daran, daß die Leiber derer, die wir für Brüder ansehen und Schwestern und was es sonst noch für Verwandtschaftsnamen gibt, unentweiht und unbefleckt bleiben, da uns abermals der Logos sagt: „Wenn jemand deswegen zum zweitenmal küßt, weil es ihm gefallen hat“ und beifügt: „So also mit Vorsicht muß man den Kuß oder vielmehr den Gruß geben, da er uns des ewigen Lebens berauben würde, wenn er irgendwie durch die Gesinnung getrübt würde.“

Da wir also Hoffnung auf ein ewiges Leben haben, so erstreckt sich unsere Weltverachtung selbst auf solche Genüsse, die nur in Vorstellungen bestehen. Jeder von uns hat auch nur ein Weib, das er nach den von uns aufgestellten Gesetzen geehelicht hat, und zwar nur zum Zwecke der Kindererzeugung. Denn wie der Landmann, wenn er die Saat dem Schoße der Erde anvertraut hat, den Ernte tag abwartet, ohne neue Saat auszustreuen, so hat auch bei uns die Begierde ihr Ziel in der Kindererzeugung. Indes kann man unter unseren Glaubensgenossen viele finden, Männer und Frauen, die alt werden, ohne zu heiraten, in der Hoffnung auf umso innigeren Verkehr mit Gott. Wenn das Verharren im jungfräulichen Stande beide Geschlechter Gott näher bringt, wenn schon ein Gedanke oder eine Begierde von ihm wegführt, so verabscheuen wir noch viel mehr die Vollbringung dessen, was wir uns nicht einmal zu denken erlauben. Denn nicht im Aussinnen schöner Sprüche besteht unser Leben, sondern in der Ausführung schöner Taten und in der Anleitung hierzu, auf daß ein jeder bleibe, wie er geboren ist, oder nur einmal sich vereheliche. Denn die zweite Ehe ist nur ein verbrämter Ehebruch. „Denn wer sein Weib entläßt,“ sagt unser Lehrer, „und eine andere heiratet, bricht die Ehe“; es ist also keinem gestattet, diejenige zu verlassen, deren Jungfrauschaft er aufgehoben, und eine zweite Heirat einzugehen. Wer sich nämlich seines ersten Weibes entledigt (und eine andere heiratet), ist ein versteckter Ehebrecher, selbst dann noch, wenn jene gestorben ist. Denn er übertritt die Anordnung Gottes, der im Anfang nur einen Mann und nur ein Weib bildete, und löst jenes einigende Band, das zum Zwecke eines geordneten Geschlechtsverkehrs zwischen Fleisch und Fleisch geknüpft ist.

Trotz so erhabener Grundsätze (doch wozu sollte ich die Geheimnisse ausplaudern?) bekommen wir Vorwürfe zu hören, so daß sich das Sprichwort bewahrheitet: „Die Dirne (tadelt) die Anständige.“ Leute, die förmlichen Mädchenhandel treiben, die mit Umgehung der Gesetze der Jugend Gelegenheit zu schändlichen Ausschweifungen jeder Art bieten, die sich nicht einmal männlicher Personen enthalten, sondern als Männer an Männern Arges verüben, Leute, die gerade die stattlichsten und schönsten Leiber auf alle Art schänden und das herrliche Schöpfungswerk Gottes in den Staub ziehen (denn die Schönheit auf Erden ist nicht von selbst da, sondern wird von Gottes Hand und Huld gesendet), solche wagen es, Schändlichkeiten, deren sie sich selbst bewußt sind und die sie auch ihren Göttern nachsagen, weil sie darin etwas Rühmliches und der Götter Würdiges erblicken, uns aufzubürden! Uns, die wir entweder ein ganz jungfräuliches oder ein streng monogamisches Leben führen, wollen die Ehebrecher und Knabenschänder herabwürdigen, sie, die wie Fische leben, denn auch diese verschlingen jeden, der ihnen in den Weg kommt, und der Stärkere macht Jagd auf den Schwächeren. O, das ist Versündigung an Menschenfleisch, wenn man unbeachtet der von Euch und Euren Vorfahren in gerechter Erwägung gegebenen Gesetze Menschen so sehr bedrängt, daß selbst die von Euch aufgestellten Statthalter mit den Prozessen nicht mehr fertig werden, und wenn man dies noch dazu solchen Menschen antut, die nicht einmal bei Schlägen sich zurückziehen dürfen und nicht einmal bei Schmähungen Segensworte unterlassen dürfen. Denn bloß gerecht sein ist noch zu wenig; gerecht sein heißt Gleiches mit Gleichem vergelten; wir aber haben die Vorschrift, gut und geduldig zu sein.

Welcher Verständige sollte nun uns, Leute von solchen Grundsätzen, noch des Menschenmordes bezichtigen?

Nach unserer Auffassung macht es keinen großen Unterschied, ob man bei einer Tötung zuschaut oder sie selbst vollzieht, und deshalb haben wir den Anblick solcher Szenen verboten. Wie sollten also wir, die nicht einmal zusehen, damit uns nicht Blutschuld und Frevel beflecke, jemand töten können? Wie sollten wir, die da behaupten, daß jene Frauen, die zur Herbeiführung eines Abortus Medikamente anwenden, Menschenmörderinnen sind und sich einst bei Gott darüber zu verantworten haben, Menschen umbringen können? Es wäre doch sehr inkonsequent zu behaupten, auch der Embryo sei schon ein Mensch und Gegenstand göttlicher Fürsorge, und ihn dann, wenn er das Licht der Welt erblickt hat, zu töten; und die Aussetzung eines Kindes zu verbieten, weil Kindsaussetzung einem Kindsmorde gleichkommt, dasselbe aber dann, wann es herangewachsen ist, zu beseitigen. Wir sind aber in jeder Hinsicht und in allen Dingen sehr konsequent; denn wir sind Diener der Vernunft, nicht Verdreher derselben.

Umgekehrt. Wer da glaubt, er brauche keine Rechenschaft zu geben, ob sein Leben in dieser Welt gut oder schlecht war, und es gebe keine Auferstehung, ja mit dem Leibe vergehe auch die Seele in der Weise eines Erlöschens, von einem solchen Menschen ist zu erwarten, daß er sich wohl keines Frevels enthält. Wir dagegen, die überzeugt sind, daß bei Gott nichts ungeprüft bleibt und daß der Leib, wenn er den unvernünftigen Trieben und Begierden der Seele gedient hat, auch an der Strafe teilnehmen muß, wir haben allen Grund, auch die kleinste Sünde zu verabscheuen. Wenn es aber dem einen oder andern eine gar törichte Rede dünkt, daß der verweste, aufgelöste und zerstörte Leib wieder zusammenkommt, so dürfte dieser Umstand, nämlich daß es Ungläubige gibt, noch kein genügender Grund sein, uns der Schlechtigkeit zu zeihen; man könnte uns höchstens Torheit vorwerfen. Denn wären unsere Grundsätze auch ein Werk der Selbsttäuschung, so würden sie doch niemand wehe tun.

Und da gelten dann Leute, die das gegenwärtige Leben für gleichbedeutend halten mit: ,,Lasset uns essen und trinken; denn morgen müssen wir sterben“  und den Tod als einen tiefen Schlaf und als ein vollständiges Vergessen auffassen, für Gottesverehrer! Wir hingegen, die wir uns darüber klar geworden sind, daß das Erdenleben nur weniges und geringes wert ist, die wir uns einzig von der Erkenntnis des wahren Gottes und seines Wortes leiten lassen (nämlich von der Erkenntnis, welches die Einheit des Sohnes mit dem Vater, welches die Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohne ist, was der Geist ist, was die Einigung solcher Größen und der Unterschied der Geeinigten ist, nämlich des Geistes, des Sohnes und des Vaters), die wir ferner wissen, daß das künftige Leben noch viel besser ist, als es sich mit Worten ausdrücken läßt, vorausgesetzt, daß wir von aller Ungerechtigkeit rein vor Gott erscheinen, die wir endlich bis zu dem Grade voll Menschenliebe sind, daß wir nicht nur die Freunde lieben („wenn ihr nur die liebt“, heißt es, „die euch lieben, und nur denen leiht, die euch leihen, welchen Lohn werdet ihr dann bekommen?“), wir sollten, nachdem wir so sind und um dem Gerichte zu entgehen so leben, nicht als Gottesverehrer gelten? Dieses Kleine aus dem Großen, dieses Wenige aus dem Vielen möge genügen, damit wir Euch nicht zu lange aufhalten.

Aus "Bittschrift für die Christen" (177 Jahr), Athenagoras Apologeten (Frühchristliche)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter

"Nil novi sub luna"