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Kathedrale der Hll. Neumärtyrer und Bekenner Russlands in München

der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland

Erzbischof Mark: Vortrag auf der erweiterten Pastoralkonferenz

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Wege der Russischen Kirche (08. Dezember 2003)

Der erste Absatz der Statuten Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland lautet: “Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland ist ein untrennbarer Teil der Russischen Orthodoxen Ortskirche, der sich auf konziliarer Grundlage vorübergehend selbständig verwaltet bis zur Aufhebung der gottlosen Macht in Russland…”.

Der Erlass Nr. 362 verleiht das Recht zur eigenständigen Verwaltung bis zur “Wiederherstellung der zentralen Kirchenobrigkeit”, wobei dann “alle vor Ort entsprechend den vorliegenden Anordnungen getroffenen Maßnahmen … zur Bestätigung durch die Letztere vorzulegen sind”.

“Formal besteht in Russland eine zentrale Kirchenobrigkeit. Sie ist jedoch nicht mit jener identisch, von welcher im Erlass die Rede ist. Sie kann sich nicht einmal auf die unmittelbare Nachfolge jener ‘zentralen Kirchenobrigkeit’ berufen, da sie auf Grund von Ungehorsam gegenüber dem Oberhaupt der einen Russischen Kirche, dem tatsächlichen Patriarchatsverweser Metropolit Peter, und außerdem in Opposition zu den Brüdern im Bischofsamt, die von Patriarch Tichon als Kandidaten für das Amt des Patriarchatsverwesers eingesetzt waren, den Metropoliten Kyrill und Agafangel, entstand, um nicht von vielen anderen zu sprechen.

Uns ist klar, dass das Moskauer Patriarchat nicht die höchste kirchliche Obrigkeit ist, von welcher der hl. Patriarch Tichon schrieb. Eine solche Obrigkeit gibt es nicht mehr. Der hl. Patriarch Tichon sah nicht voraus, oder sprach jedenfalls nicht davon, dass in der Russischen Kirche ein Organismus wie das Moskauer Patriarchat entsteht. Das zwingt uns, tiefer zu schürfen. Bevor der Erlass von der “Wiederherstellung der zentralen Kirchenobrigkeit” spricht, enthält der Erlass die Forderung, den Kontakt zu anderen Teilen der Russischen Orthodoxen Kirche aufzunehmen. Diesen Teil des Erlasses sind wir verpflichtet zu erfüllen. Und eben dieser Teil des Erlasses Nr. 362 gibt dient uns als Grundlage für unsere weiteren Überlegungen und eine mögliche Entscheidung. Früher bemühten sich unsere Väter darum, die Verbindung zu den zersprengten Teilen der Russischen Orthodoxen Kirche zu bewahren oder aufzunehmen, _.B.. in Westeuropa oder Amerika (Pariser Jurisdiktion, Amerikanische Metropolie)._

Auf diesen Positionen und dieser Erfahrung unserer Väter aufbauend, sind wir auch jetzt verpflichtet, uns um die Verbindung mit den anderen Teilen der Einen Russischen Orthodoxen Kirche zu mühen. Wir haben kein Recht, apriori den einen oder anderen Teil der Russischen Orthodoxen Kirche zu verurteilen. Das konziliare Bewusstsein der Kirche lässt keine Verurteilung von vornherein zu. Wenn wir auf Mängel oder gar Sünden hinweisen, so müssen wir daran denken, dass wir selbst keinesfalls sündlos sind. Die Notwendigkeit eines solches konziliaren Ansatzes spiegelt auch der Text unserer Statuten wider. Unser Bestehen ist zeitlich begrenzt. Das Gefühl der Verantwortung vor der Fülle der Russischen Orthodoxen Kirche verpflichtet uns, für unseren weiteren Weg Sorge zu tragen. Wir können davon ausgehen, dass verschiedene Teile der heute existierenden Russischen Orthodoxen Kirche die Traditionen und die Reinheit unserer Kirche in unterschiedlicher Weise bewahrt haben.

Mit einigem Recht können wir annehmen, dass wir dank der weitgehenden Unabhängigkeit von staatlichem Druck, der wir uns erfreuen, in vielerlei Hinsicht die Grundlagen der Russischen Kirche am reinsten bewahrt haben. Um so mehr sind wir, die wir über die größere Erfahrung des Umgangs mit der äußeren Freiheit verfügen, verpflichtet, denen, die auf diesem Gebiet weniger Erfahrung besitzen, entgegenzukommen. Ist es uns nicht verboten, einen ernsthaften Schritt zu unternehmen, um die versprengten Teile zu sammeln? Dabei sollten wir nicht so sehr auf die Dinge achten, die uns trennen, als vielmehr auf das, was und verbindet. In erster Linie verbindet uns unsere historische Herkunft aus der einen tausendjährigen Russischen Kirche._

In der Geschichte der Orthodoxen Kirchen kennen wir die Erfahrung der Überwindung von Schismen und Teilungen. Es genügt, auf die Serbische Kirche zu verweisen, die eine Großzahl von Teilungen unter dem Türkenjoch und der österreichisch-ungarischen Monarchie zu überwinden hatte (fünf Jurisdiktionen!). Dabei hatte sie häufig nicht nur mit administrativen Trennungen zu tun, sondern auch mit ernsten kanonischen Mängeln. Trotzdem löste diese Kirche ihre Probleme immer, indem sie die Notwendigkeit der kirchlichen Einheit über alle denkbaren Hindernisse stellte. _

Zur Zeit der Metropoliten Antonij und Anastasij stand die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland in lebendiger eucharistischer Gemeinschaft mit allen Orthodoxen Lokalkirchen. In den letzten Jahren aber ist die Russische Auslandskirche von solcher Gemeinschaft abgeschnitten, oder unterhält sie nur noch wenigstens teilweise mit der Serbischen Kirche. Die Gemeinschaft mit den anderen Orthodoxen Ortskirchen wurde nicht von uns aufgekündigt, sondern von ihnen; sie taten dies unter Druck von Moskau, insbesondere nach 1961. Diese unsere Isolierung als Errungenschaft zu betrachten, würde bedeuten, die Bestrebungen der damaligen kommunistischen Sowjetdiktatur zu akzeptieren. Tatsächlich gingen wir in jener Zeit stets von gemäßigten und gesunden Positionen aus. Ja, wir sprachen uns gegen den Ökumenismus aus, machten daraus jedoch keine Ideologie. Von einem solchen gemäßigten und ausgewogenen Ansatz zeugt die Tatsache, dass Vertreter anderer Glaubensbekenntnisse regelmäßig und ganz natürlich bei unseren Gottesdiensten aus gewichtigen Anlässen zugegen waren – ein Beispiel ist die Bischofsweihe des späteren Metropoliten Vitaly.

Den Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft nahmen wir ruhig an, da während des Kalten Krieges der Abbruch der Beziehungen zu Moskau politische Beweggründe hatte. Wir hatten keine Zweifel daran, dass die Kirche in Sowjetrussland vollständig geknechtet und den gottlosen Machthabern unterworfen war. Wir hatten nicht das Recht, unsere Freiheit gegen eine ähnliche Gefangenschaft einzutauschen. In jener Zeit aber hatten wir keine dogmatischen Gründe – und machten solche dementsprechend auch nicht geltend – für die Zurückhaltung von der eucharistischen Gemeinschaft mit dem Moskauer Patriarchat oder anderen Landeskirchen.

Beim Bischofskonzil des Jahres 1953 erwähnte Metropolit Anastasij die Worte des Heiligen Johannes von Shanghai: „Erzbischof Johannes sagt, dass wir nicht vom rechten Weg abgewichen sind, den uns M. (Metropolit) Antonij gewiesen hat. Wir sind ein Teil der Russischen Kirche und atmen den Geist der Russischen Kirche aller Zeiten. Daraus ist es jedoch gefährlich, eine extreme Folgerung zu machen, dass wir nämlich die einzige Kirche sind, dass wir auf andere nicht zu achten brauchen und auf sie keine Rücksicht nehmen müssen. Wir beschreiten den richtigen Weg, während andere von ihm abweichen; wir dürfen aber nicht mit einem Gefühl des Stolzes die anderen verachten, denn überall gibt es orthodoxe Bischöfe und Priester. Oft werden die Worte des Maxims des Bekenners angeführt: “Wenn das ganze Universum die Kommunion empfängt, ich allein werde sie nicht annehmen”. Aber er sagte „wenn“. Dem Propheten Elias aber, als er meinte, dass er allein den Glauben bewahrt, offenbarte der Herr, dass es noch 7.000 andere gibt…“(1).

Aus dem Protokoll desselben Konzils: „Erzbischof Johannes erinnert daran, dass ein Synodalbeschluss gefasst wurde, Antonij Bartoschewitsch im Rang eines Archimandriten aufzunehmen, den er vom Moskauer Patriarchen erhalten hatte“. Dies sagte Erzbischof Johannes nach ziemlich scharfen Bemerkungen der Erzbischöfe Leontij und Averkij gegen das Moskauer Patriarchat. Der letztere schlug vor, das Moskauer Patriarchat so zu behandeln wie die Erneuerer. Mit anderen Worten, Erzbischof Johannes bemüht sich, die Extremisten zu bremsen(2). Weiter macht er eine ähnliche Bemerkung. Im Protokoll heißt es: “Erzbischof Johannes erinnert, dass auf dem Konzil des Jahres 1938 die Frage der möglichen Konzelebration mit Geistlichen des Moskauer Patriarchats erörtert wurde und zugestanden wurde, dass außerhalb der Gemeinschaft lediglich der Metropolit Sergij selbst steht“(3). Weiter, nachdem der Erzbischof Averkij von der „Kirche der Hinterlistigen“ gesprochen hatte: „Erzbischof Johannes entgegnet, dass es wichtig ist, zu klären, wen dies betrifft, etwa alle die zu dieser Kirche gehören? Unter der einfachen Hierarchie gibt es sehr gute, aber gegenüber denen, die in der Leitung stehen, muss man strenge Überprüfung anwenden“(4).

Erzbischof Johannes wurde mit dem Verfassen des Rundschreibens des Konzils des Jahres 1953 beauftragt. Dort finden sich solche Worte: “Ähnlich wie Blätter trocknen, wenn sie von ihrem Baum abfallen, so verlieren auch wir unser Gesicht, wenn wir unsere Pflicht nicht erfüllen, und verlieren uns, wenn wir uns von der uns einenden Russischen Auslandskirche losreißen und unser leidendes Heimatland vergessen. Lasst uns stets die Worte des Psalmensängers wiederholen: Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, so sei meine Rechte vergessen!“(5).

Weiter aus dem Protokoll des Bischofskonzils von 1971: „Erzbischof Antonij von Los Angeles findet, dass die Entwürfe für die Resolution gut sind. Dort ist ausgezeichnet von den Wahlen des Patriarchen gesagt, aber man muss hinzufügen, dass das Moskauer Patriarchat der Gnade entbehrt, denn wenn Häretiker der Gnade verlustig sind, dann um so mehr muss als solche das Patriarchat angesehen werden, da ihre Lage schlechter ist als Häresie, weil sie mit den Gottesgegnern zusammenarbeitet. (…) Erzbischof Vitaly meint, dass das Patriarchat nicht nur aus Nikodim und Ähnlichen besteht. Wenn wir einen Entschluss über das Fehlen der Gnade annehmen, dann berühren wir den gesamten Klerus und die Laien. Die Katakombenkirche besteht nicht nur aus denen, die sich verstecken, sondern auch aus einem Teil der offiziellen Geistlichkeit.

Erzbischof Nikon stimmt Erzbischof Vitaly zu und meint, dass unsere Bemühungen gegen die höchste Geistlichkeit gerichtet werden müssen. (…) Metr. Philaret bestätigt, dass es Menschen gibt, die wohl einen falschen Weg eingeschlagen haben, sich dabei jedoch innerlich Vorwürfe machen; immerhin versorgen sie das Kirchenvolk und erhalten den Glauben. Zweifellos hat Erzb. Antonij von Los Angeles recht, dass der vollständige Verrat an der Wahrheit den Verlust der Gnade nach sich zieht, aber vorläufig ist es besser, auf dieser Frage nicht zu verharren(6).

In diesem Zusammenhang muss man auch die Frage der Aufnahme von Geistlichen des Moskauer Patriarchats untersuchen: bis 1959 nahm die Auslandskirche Kleriker aus dem Moskauer Patriarchat „ohne jeglichen Ritus“ auf, d.h. wie ihre eigenen Kleriker. Zum ersten Mal wurde die Frage über die Richtigkeit dieser Praxis auf dem Konzil 1938 aufgeworfen. Auf der Grundlage der Meinung von Metr. Anastasij beschloß das Konzil, diese Praxis nicht zu ändern. Im Protokoll heißt es: „Diskutiert wurde die Frage der Konzelebration mit der Geistlichkeit, die sich in der Jurisdiktion des Metropoliten Sergij und seiner Synode befindet. Metropolit Anastasij verweist darauf, dass die Geistlichkeit, die aus Russland kommt, und in der genannten Jurisdiktion war, sofort zur Gebetsgemeinschaft zugelassen wird und führt die Meinung des Metropoliten von Kazan Kyrill aus dessen im ‘Kirchlichen Leben’ abgedruckten Sendschreiben an, dass die Sünde des Metropoliten Sergij sich nicht auf die ihm untergeordnete Geistlichkeit ausweitet. Es wurde beschlossen: Anzuerkennen, dass es keine Hindernisse zur Gemeinschaft und Konzelebration mit der Geistlichkeit des Metropoliten Sergij gibt“(7).


In der zitierten Stelle begründet Metropolit Anastasij seine Einstellung kaum, und verweist nur auf die Meinung des hl. Märtyrerbischofs Kyrill. Allein die Tatsache der Einmütigkeit von Metropolit Anastasij mit Metr. Kyrill in der ekklesiologischen Frage ist für unser Thema außerordentlich interessant. Denn zur Grundlage seiner ekklesiologischen Ansicht machte der heilige Kyrill nicht den Buchstaben, sondern die reale, konstruktive Bedeutung der heiligen Kanones für die Kirche, indem er ein solches Verständnis dem Formalismus des Metr. Sergij entgegenstellte. Die Auffassung des Metr. Kyrill spiegelt jene kirchenväterliche Verwendung der heiligen Kanones im Geist der Freiheit – oder besser in der Freiheit des Geistes – wider, den man auch in den Aussagen des Metr. Anastasij nachverfolgen kann. Die Weite der Ansichten von Metropolit Anastasij kommt beim Bischofskonzil 1953 zum Tragen. Auf diesem Konzil wurde zum zweiten Mal (nach 1938) die Frage über das Verfahren der Aufnahme von Geistlichen des Moskauer Patriarchats aufgeworfen. Nach einem andauernden Meinungsaustausch, wobei auch Stellungnahmen über das Fehlen der Gnade in den Mysterien des Moskauer Patriarchats geäußert wurden, und über die falsche Art der Aufnahme ihrer Kleriker durch die Auslandskirche in der Vergangenheit u.a.m., bittet Metropolit Anastasij, die erste Regel des Heiligen Basilios des Großen zu verlesen. In dieser Regel erklärt sich der hl. Basilios aus Gründen der Oikonomia einverstanden, selbst Bischöfe aus dem Kreis der Enkratiten in ihrem Amt aufzunehmen, nur weil dies bereits von anderen Bischöfen eingeführt war. Aus demselben Grund stimmt der hl. Basilios zu, auch die Taufe einiger Schismatiker anzuerkennen, obwohl er selbst meint, dass man sie taufen müsste. Die abschließenden Ausführungen von Metropolit Anastasij führen wir vollständig an: „Der Vorsitzende empfiehlt, bestimmte Folgerungen aus dem Gesagten zu ziehen. Erkennen wir grundsätzlich die Wirksamkeit der Weihen des jetzigen Patriarchen und seiner Bischöfe an? Aber können wir sie denn in Frage stellen? Dann müssen wir die ganze Kirche als der Sakramente verlustig erklären. Haben wir genug Kühnheit, sie als ganz der Gnade verlustig zu erklären? Bisher haben wir diese Frage nicht so radikal gestellt. Als man den Metropoliten Philaret über die Katholiken befragte, sagte er: ‘Wie kann ich eine Kirche richten, die kein Ökumenisches Konzil gerichtet hat?’ Welche Norm sollen wir nun annehmen? Der Vorsitzende sagt, dass er nicht umsonst gebeten hat, den 1. Kanon des hl. Basilios d. Gr. zu verlesen. Der Heilige Vater sagt darin, dass man große Offenheit an den Tag legen muss. Er spricht sehr gut von der Taufe. Der Weihe müsste weniger Bedeutung zukommen als der Taufe. Metropolit Antonij ließ sich von dieser Regel des hl. Basilios des Großen leiten, als er sagte, dass er bereit wäre, Katholiken und Anglikaner nach dem dritten Ritus aufzunehmen. Er vertrat die Meinung, dass die Gnade empfangen wird, sowie die Bande zur Häresie gekappt und die Orthodoxie angenommen wird, dass das gleichsam leere Gefäß mit Gnade gefüllt wird. Wir haben ein Prinzip, demgemäß man Menschen nach dem dritten Ritus aufnehmen kann, wenn der Faden der Sukzession nicht abgerissen ist. Selbst die Armenier, die eine bestimmte Häresie vertreten, werden in ihrem Stand aufgenommen. Hinsichtlich der Anglikaner entstand die Frage, weil sie selbst nicht überzeugt sind, dass sie die Sukzession besitzen. Wenn wir Fremde so aufnehmen, die sich von der Häresie Schluss lossagen, wie sollen wir dann die Unseren nicht aufnehmen? Man sagt, Patriarch Alexij habe mehr gefehlt, als sein Vorgänger. Ob er mehr gefehlt hat oder weniger, aber wir zweifeln seine Weihe nicht an. Viel ist von der Apostasie gesprochen worden. Aber wir müssen vorsichtig sein. Den direkten Vorwurf der Apostasie kann man kaum machen. Sie vertreten nirgends den Atheismus. In den veröffentlichten Predigten versuchen sie, sich an die orthodoxe Linie zu halten. Sie haben sehr strenge Maßnahmen gegenüber den Erneuerern getroffen und tun dies weiterhin, und mit dem Patriarchen Tichon haben sie die Gemeinschaft nicht gebrochen. Die falsche Politik gehört der kirchlichen Obrigkeit, und die Verantwortung dafür fällt auf die Führer. Nur eine Häresie, die von der ganzen Kirche angenommen ist, befleckt die ganze Kirche. Im vorliegenden Fall ist das Volk nicht für das Verhalten der Leitung verantwortlich, und die ganze Kirche als solche bleibt unbefleckt. Niemand wagt zu sagen, dass die ganze Kirche der Gnade verlustig ist…“.

Obwohl Metropolit Anastasij die Notwendigkeit der Buße erwähnte, beschloss das Konzil des Jahres 1953 keinen allgemeinen Bußritus für die aus dem Moskauer Patriarchat übernommenen Geistlichen. Ein solcher Ritus wurde erst auf dem Konzil des Jahre 1959 erarbeitet(8).

Gründe dogmatischer und disziplinärer Natur wurden unsererseits in Hinsicht auf das Moskauer Patriarchat und andere orthodoxe Nationalkirchen in dem Maß angeführt, in welchem diese in den Weltrat der Kirchen eintraten, an der ökumenischen Bewegung teilnahmen und in einzelnen Fällen gemeinsamer Gebete mit Häretikern. Unter diesem Banner nahmen wir auf dem Konzil in Mansonville 1983 den Anathematismus gegen die ökumenische Häresie an(9). Wir Bischöfe, die wir im traditionellen Geist der Auslandskirche erzogen sind, betrachteten diesen Anathematismus ausschließlich als gegen verirrte Kinder unserer eigenen Kirche gerichtet. Keinesfalls konnten wir ihm einen Sinn geben, der gegen andere Nationalkirchen gerichtet wäre, wenn wir auch hoffen konnten, dass wir allein durch die Tatsache auf diese einen gewissen Einfluss ausüben würden. Einige Glieder unserer Kirche, sogar einschließlich einiger Bischöfe, stellten diese Sache später so dar, als sei der Anathematismus auch gegen andere Kirchen gerichtet, wobei sie vergaßen, dass wir keine Maßnahmen gegenüber Menschen treffen können, die nicht in disziplinärer Unterordnung unseres Teils der Russischen Kirche leben. Manche waren jedoch weiterhin der Meinung, dass der Anathematismus auch das Moskauer Patriarchat beträfe.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Erstellung dieses Anathematismus von dem unserer Kirche fremden Geist einer kleinen Gruppe griechischer Altkalendarier (Panteleimon in Boston) inspiriert war, die sich nie wirklich in unsere Kirche einfügte. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass wir selbst in jener Zeit noch in gemeinsamen Kommissionen mit Katholiken und Protestanten mitarbeiteten…

Als in Russland die Veränderungen eintraten und die Sowjetmacht wenigstens äußerlich verschwand, begannen wir uns zu fragen, wie wir unser Verhältnis zur Gesamtheit der Kirche weiter gestalten könnten. Und hier begannen wir, die Früchte unserer eigenen Inkonsequenz und der Unklarheit unseres kirchlichen Weges zu ernten. Viele unserer Gläubigen und Priester wurden dadurch verwirrt, dass wir unsere Blicke mehr nach Russland als gen Westen lenkten, dass wir versuchen, die jetzige Entwicklung des Lebens des russischen Volkes sowohl in kirchlicher als auch in staatlicher Hinsicht zu verstehen. Sowohl unter russischen Emigranten oder kürzlichen Neuankömmlingen aus Russland als auch unter Nichtrussen hört man, dass einige von uns von den goldenen Kuppeln „eingeschläfert“ und bereit sind, darüber die sowjetische Vergangenheit zu vergessen. Aber in ihrer Mehrheit nahmen unsere russischen Gläubigen die politischen Veränderungen in ihrer Heimat freudig auf und hofften, dass sich die neugewonnene zumindest relative Freiheit auch auf das kirchliche Leben auswirken wird.

Sofort nach den politischen Veränderungen in Russland verlieh unser Ersthierarch, Metropolit Vitaly, in einem Interview seiner Meinung Ausdruck, dass unser Teil der Russischen Kirche “kleiner” werden muss, und dass wir einfach der ausländische Teil oder eine Diözese der einen Russischen Kirche werden. In der Folge wurden Gründe für die weiterbestehende Trennung angeführt: Nicht-Verherrlichung der Neumärtyrer durch das Moskauer Patriarchat, Sergianertum, Ökumenismus…

Die Gegner und Kritiker einer möglichen Annäherung zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland und der Kirche in Russland begannen, diese Argumente auszunutzen, doch gleichzeitig damit und dadurch wurde deutlich, dass viele dieser Menschen es überhaupt nicht für nötig halten, nach irgendeiner Form der Einheit der Russischen Kirche zu streben.

Zweifellos trug unser festes Einstehen für die Klärung der Fragen, die der Trennung zugrunde lagen, zu Veränderungen bei, die in der Kirche in Russland während der vergangenen Jahre stattfanden.

Die Verherrlichung der Neumärtyrer wurde in Russland vorgenommen. Sie geschah unerwartet selbst für viele im Schoße des Moskauer Patriarchats. Doch gerade in dieser Unerwartetheit, mehr als in irgendeiner planmäßig durchgeführten Aktion, sollte man das Wirken der Göttlichen Vorsehung erkennen. Diese Verherrlichung ist nicht abgeschlossen, sondern wird weiterhin vollzogen. Man sollte nicht vergessen, dass auch in unserer Mitte, in den Reihen der russischen Emigration, die Verherrlichung der Neumärtyrer und Bekenner Russlands bei weitem nicht eindeutig aufgenommen wurde. Sie rief heiße Diskussionen und Zwistigkeiten hervor. Ich kann selbst mit Reue bekennen, dass ich trotz voller Zustimmung zur Verherrlichung von Anfang an, hinsichtlich der Form der Durchführung eine tiefe Wandlung hinsichtlich einiger sekundärer Elemente dieser Verherrlichung durchlaufen habe. Ich bin davon überzeugt, dass in Russland bis heute keine vollständige Einmütigkeit in dieser Frage herrscht. Aber allein die Tatsache der Verherrlichung an sich eröffnet die Möglichkeit der gesamtkirchlichen Anrufung der hll. Neumärtyrer im Gebet, und dies lässt hoffen, dass die früheren Missverständnisse und Wunden geheilt werden können. Wie ernsthaft man sich in Russland um die Vertiefung dieser Verherrlichung bemüht, zeigt sich daran, dass im Kalender des Moskauer Patriarchats für das Jahr 2004 die Liste der Neumärtyrer veröffentlicht ist.

Eine klare und unzweideutige Absage an das Sergianertum erblickten wir in der Soziallehre, die das Konzil des Moskauer Patriarchats 2000 annahm. Diese Absage trat in scharfer Form zutage, als sich das Moskauer Patriarchat den weltlichen Machthabern in der Frage der Beisetzung der vermeintlichen Überreste der Zarenfamilie durch die Jelzin-Regierung entgegenstellte. Der Patriarch selbst hat bereits mehrfach für seine Teilhabe am Sergianertum öffentlich in Reden und Predigten Reue getan, aber aus irgendeinem Grund wollen bestimmte Kreise diese Worte nicht hören. Am eindeutigsten hat sich Metropolit Chrysostomos über seine Zusammenarbeit mit der Sowjetmacht ausgesprochen. Seine Stellung ist deutlich und verständlich und meiner Ansicht nach völlig akzeptabel: Wenn es erlaubt ist zu paraphrasieren – ich habe mit den atheistischen Machthabern kollaboriert, wobei ich keinen eigenen Vorteil erhoffte, sondern ausschließlich zum Wohle der Kirche, wie ich es zu jener Zeit verstand, wirkte. Diese Einstellung spiegelt sich auch in dem 1974 von V. Furov, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates für Religionsangelegenheiten, für die Mitglieder des Zentralkomitees der KPdSU ausgearbeiteten Bericht wider(10), in dem die Bischöfe in drei Gruppen unterteilt sind: die einen kollaborierten einfach mit den Machthabern, die anderen taten dies scheinheilig, um Vorteile für die Kirche zu erreichen, und die dritten wirkten „unter Umgehung des Gesetzes“, d.h. nur im Interesse der Kirche, ohne auf die Machthaber Rücksicht zu nehmen(11). Es wäre wohl wünschenswert, dass eine solche Aussage, wie sie Bischof Chrysostomos machte, im Namen aller Bischöfe gemacht würde, die in jenen Jahren aktiv waren.

Was die Mitarbeit im Weltrat der Kirche betrifft, so haben im vergangenen Jahr alle Orthodoxen Nationalkirchen einschließlich des Moskauer Patriarchats ihre Teilnahme ausgesetzt. Auf die Ökumeniker aus anderen Glaubensgemeinschaften hatte dies eine so starke Wirkung, dass selbst einige evangelische Vertreter danach ihre Arbeit im Weltrat der Kirchen einfroren, und erklärten, dass diese Tätigkeit nach dem Auszug der Orthodoxen Kirchen sinnlos sei.

Das gerade zeigt, dass die Zugehörigkeit zu einem Organismus den eigenen Argumenten größere Kraft verleiht, als es möglich ist, wenn man zur Seite steht. Daran müssen auch wir hinsichtlich unseres Verhältnisses zur Kirche in Russland denken. Wollen wir an ihrem Leben teilnehmen oder nicht? In Russland sind unter der Geistlichkeit, insbesondere der monastischen, anti-ökumenische Tendenzen und Stimmungen wesentlich schärfer als in unseren Kreisen. Wir sollten diese unterstützen, ihnen unsere Erfahrung des Lebens in einer andersgläubigen Umwelt vermitteln, ein ausgewogenes Verhältnis zu Andersgläubigen formulieren. Insgesamt muss man sagen, dass die Russische Kirche selbst in Gestalt des Moskauer Patriarchats niemals dem Ursprung der Teilnahme an der ökumenischen Bewegung abgeschworen hat: dem Zeugnis von der Wahrheit und der Forderung der Rückkehr zu den Quellen: der kirchenväterlichen Orthodoxie der sieben Ökumenischen Konzilien. Einzelne Vertreter des Moskauer Patriarchats haben deutlich ein Verhalten an den Tag gelegt, das diesen Grundsätzen widerspricht, aber die Kirche im Ganzen hat keine Stellungen bezogen, die der Reinheit von orthodoxer Lehre oder Leben widersprochen hätten. Mir scheint, dass unsere Teilnahme an der Diskussion zu ähnlichen Fragen mehr Nutzen bringen könnte als die Verurteilung aus der Entfernung.

Einige unserer Bischöfe und Priester wählten den Weg der Dämonisierung des Moskauer Patriarchats und anderer Orthodoxer Nationalkirchen. Dieser Weg führte konsequent den ehemaligen Bischof Varnava von Cannes und einige Weggenossen in Selbsttäuschung und den Zustand geistlicher Verblendung; er führte auch unseren unglücklichen Metropoliten Vitaly in die seelische Katastrophe. In diesem Zustand sind sie dann folgerichtig auch aus der Fülle der Kirche ausgeschieden. Im Laufe der gesamten Geschichte der Auslandskirche verloren viele unserer Geistlichen nach Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft mit den anderen Nationalkirchen nicht das Gefühl der Mangelhaftigkeit unserer Existenz und unserer kanonischen Lage; bewusst oder unbewusst empfanden sie eine gewisse “Minderwertigkeit“ und versuchten diesen Mangel der Gemeinschaft mit der orthodoxen Welt durch die wahlweise Gemeinschaft mit griechischen Altkalendariern auszugleichen. Doch all dies führte immer wieder in die Sackgasse.

In der Frage der vormaligen Sergianer müssen wir daran erinnern, dass die Kirche sich immer streng gegenüber Häresiarchen oder Anführern der einen oder anderen Abweichung vom Weg der Wahrheit verhielt. Gegenüber nachfolgenden Generationen aber verhielt sie sich stets nachgiebig in dem Wissen darum, dass diese bereits in einem kranken Organismus geboren wurden und lediglich ihren Vätern folgen, ohne für die Lehre des Schismas oder der Häresie Verantwortung zu tragen. So haben wir in Russland im Schoß des Moskauer Patriarchats ausschließlich mit Menschen zu tun, die in der Sowjetunion aufwuchsen und in fertige Strukturen, Gewohnheiten und Mechanismen der Zusammenarbeit mit den Behörden hineinwuchsen. Von ihnen kann man nicht die Schärfe der Empfindsamkeit erwarten, die uns, die wir uns außerhalb dieser Gepflogenheiten und Mechanismen befinden, eigen ist.


Wir dagegen, als Bischöfe, die durch den Erlass des heiligen Patriarchen Tichon (oder genauer: durch Anweisung der Einheit aller drei höchsten Instanzen der damals noch frei verwalteten Russischen Kirche) zur zeitweiligen Eigenständigen Verwaltung ermächtigt wurden, müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Vollmachten zur Neige gehen. Wir sind verpflichtet, uns aktiv um das weitere Schicksal unserer Kirche zu sorgen, ohne diese Frage irgendwelchen Zufälligkeiten zu überlassen, sei es den Hirngespinsten irgendwelcher „Konverten“ oder der Machtgier einiger Strukturen im Schoße des Moskauer Patriarchats oder einfach irgendwelchen Hasardeuren. Wir alle sehen die Schwierigkeiten, die es auf dem Weg zur Gemeinschaft mit Menschen und kirchlichen Kreisen zu überwinden gilt, die ein ganz anderes Leben und ganz andere Erfahrungen hinter sich haben als wir. Trotzdem gilt es für uns, unsere Unbeweglichkeit zu überwinden, unsere Zögerlichkeit und Faulheit, und zur aktiven Überprüfung der damit verbundenen Probleme überzugehen, um in der Folge nicht zu einer ausländischen Sekte zu degradieren, bei all unserer Liebe zur Orthodoxen Russischen Kirche.

Unsere Trennung ist administrativer Natur. Wir haben uns bisher der Verwaltung des Moskauer Patriarchats nicht unterstellt, da wir angesichts der Einmischung der Staatsmacht in kirchliche Angelegenheiten – in erster Linie in die Auswahl der Kandidaten für den Bischofsstand – wenigstens teilweise ihre Legitimität in Frage stellen. Zweifellos ist dies eine ernste Frage, die auf einem künftigen freien Konzil der gesamten Russischen Kirche entschieden werden muss. Im Laufe der gesamten Jahrzehnte unserer getrennten Existenz erkannte die Auslandskirche immer alle im Moskauer Patriarchat vollzogenen Sakramente als vollgültig an. Umgekehrt betrachtete das Moskauer Patriarchat ebenso alle Sakramente (einschließlich der Weihen) an, die in der Auslandskirche vollzogen wurden. Wenn wir es für richtig befinden, in den Prozess der Klärung unserer gegenseitigen Beziehungen mit dem Moskauer Patriarchat und anderen Teilen der Russischen Kirche einzutreten, so scheint es mir angezeigt, mit der Frage der eucharistischen Gemeinschaft als der wichtigsten und zum Teil bereits gelösten zu beginnen. Wenn wir gegenseitig die Sakramente anerkennen, so zweifeln wir nicht an der Kirchlichkeit des Vollzug der Eucharistie im Moskauer Patriarchat. Was oder wer hindert uns daran, als erstem Schritt zur Klärung der Beziehungen die eucharistische Gemeinschaft aufzunehmen?

Wenn wir die in Russland vollzogenen Sakramente anerkennen, dann kann abgesehen von der administrativen Trennung kein Zweifel herrschen, dass wir zum Einen Kelch treten können. Die Kirche ist katholisch (universal), konziliar, denn in jeder konziliaren, d.h. bischöflichen, Kirche – dort, wo die Gläubigen sich um ihren Bischof versammeln –, ist die ganze Fülle der Kirche präsent(12). In byzantinischen Klöstern nennt man die Kirche, in der man sich zur Eucharistie versammelt, „Katholikon“. Die Christen bezeichneten sich als dritte Rasse neben den Juden, die sich nach dem rassischen Prinzip versammelten, oder den Heiden, die sich nach dem Beruf versammelten (collegia). Die Christen betonten, dass sie das neue Israel sind, aber gleichzeitig gibt es weder Juden, noch Hellenen, weder männliches, noch weibliches Geschlecht (Gal 3, 28), weder Erwachsener, noch Kind (Mt 19, 13), weder Reicher, noch Armer (Jak 2, 27), weder Herren, noch Sklaven (1 Kor 12, 13) u.a. Sie versammelten sich zur eucharistischen Versammlung um der Einheit in Christus willen.

Für die Einheit im konziliaren Bewusstsein der Kirche, was die Unterschiede von Rasse, Beruf oder sogar Natur übersteigt – genauso wie das im Reich Gottes sein wird (Mt 22, 30), ist Glaube und Liebe die Voraussetzung.

Die Mängel, die wir als Hindernisse für die Gemeinschaft angegeben haben, berühren tatsächlich nicht das Zentrum der Dogmatik. Die Teilnahme an der ökumenischen Bewegung hat nicht zum Verrat am grundsätzlichen Verständnis von der Natur der Kirche geführt. Und selbst das Sergianertum, wenn es auch nicht durch eine direkte Erklärung widerrufen wurde (aus Vorsicht, um nicht Menschen zu verurteilen, die aus Schwäche eine solche Haltung eingenommen hatten), ist dennoch de facto im Zusammenhang der Soziallehre verworfen worden, welche vom Bischofskonzil des Jahres 2000 angenommen wurde.

„Die örtliche eucharistische Gemeinde ist die Konkretisierung und Lokalisierung des Allgemeinen“(13).

Das ist immer eine Offenbarung der eschatologischen Einheit aller im Einen Christus. Das gegenseitige Ausschließen zwischen Örtlichem und Allgemeinem, Universalem, ist undenkbar, denn das eine ist wesenhaft im anderen eingeschlossen und beinhaltet es. Das liegt im Fundament des konziliaren und synodalen Systems der Kirche.

Die Weihen durch Handauflegung wurden von ältester Zeit an in die Liturgie eingefügt. Als Leib Christi verwirklicht die Kirche den Dienst Christi. Die Sakramente existieren nicht parallel zum Dienst Christi – sie sind identisch mit IHM. Wenn wir die Weihen und anderen Sakramente anerkennen, so müssen wir auch eucharistische Gemeinschaft pflegen.

Jegliche kirchliche Handlung, jeglicher Gottesdienst, kann nur im gemeinschaftlichen Verständnis existieren. Außerhalb der Gemeinde gibt es keine Mysterien. Die Weihe des einen oder anderen Gliedes der Kirche ist keine individuelle Erscheinung. Sie gewinnt ihre Bedeutung nur in der eucharistischen Gemeinde, in der Konziliarität. Das Siegel des Heiligen Geistes wird nicht anders verliehen als in der Gemeinschaft des Empfängers mit der Gemeinde. „Ausschließlich die Kirche besitzt den Heiligen Geist, und jeder Dienst in ihr ist Gabe des Geistes“(14). Die Grundlage unseres Lebens, der Eckstein ist Christus Selbst. Nur in IHM können wir unsere Einheit in der Askese von Glauben, Hoffnung und Liebe finden.

Die grundsätzliche Zustimmung zur eucharistischen Gemeinschaft verpflichtet uns nicht, mit solchen Personen Gemeinschaft zu pflegen, mit denen uns dies nicht leiht fällt; in jedem Fall entscheidet jeder von uns, mit wem er verkehren will und mit wem nicht. Im gläubigen Volk wird eine solche eucharistische Gemeinschaft seit langem praktiziert: unsere Gemeindemitglieder reisen nach Russland und empfangen dort die Kommunion, Gemeindemitglieder des Moskauer Patriarchats reisen in den Westen und empfangen in der Regel ungehindert in unseren Kirchen die Heiligen Gaben. Wir sollten diese bereits bestehende Praxis lediglich “legalisieren“ und allmählich ausbreiten. Davon ausgehend könnte man sich in Ruhe über alle übrigen Fragen ohne jeglichen Zeitdruck auseinandersetzen. Für unsere Gläubigen ist es wichtig, dass die Fronten nicht „betoniert“ werden, dass in den Beziehungen zur Kirche in Russland eine merkbare Erleichterung eintritt: „Tauwetter“, Normalisierung.

Alle Teile der Russischen Orthodoxen Kirche, die sich in der Zeit der Verfolgung außerhalb Russlands befanden, trugen ihr Kreuz, indem sie in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen und ihrem Verständnis kirchlicher Angelegenheiten handelten. Sie alle sind an völlige und beinahe uneingeschränkte Freiheit gewöhnt, da sie nicht gezwungen waren, sich einer weltlichen Macht zu unterwerfen. Sie bemühten sich, ihr Leben nach den Traditionen der vorrevolutionären Russischen Kirche und ebenso auf Grund der Entscheidungen des Konzils von 1917/18, soweit sie damit vertraut waren, einzurichten. Auf diese Weise sind unter den russischen Gläubigen im Ausland ganz andere Beziehungen mit der kirchlichen Obrigkeit entstanden, andere Mechanismen der inneren Ordnung und des äußeren Verhaltens, als unter dem Kirchenvolk in Russland. Die Andersartigkeit unserer kirchlichen Praxis wird in gewissem Maße auch durch die nicht geringe Zahl ethnisch nichtrussischer Gemeindeglieder und Geistlicher bestimmt. Dies entspricht vollkommen den besten Traditionen der Russischen Kirche, hat aber in Russland besonders in unserer Zeit keine Parallelen.

Sowohl die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland als auch die Gemeinden des Moskauer Patriarchats im Ausland haben sich in den vergangenen Jahrzehnten bemüht, die Treue gegenüber den russischen orthodoxen Traditionen zu bewahren, jeder in seinem Bereich und entsprechend seinen Kräften. Die Gemeinden des Moskauer Patriarchats brachten diese Treue in erster Linie durch ihre kanonische Unterordnung zum Ausdruck, während die Auslandskirche ihre Treue durch die strenge Beachtung der Kanones, Bewahrung der Disziplin und der kirchlichen Ordnung ausdrückte… Als im Jahre 1990 in Russland und anderen Ländern des Ostblocks Veränderungen eintraten, nährten alle Hoffnung auf eine möglichst baldige Heilung der Trennungen. In Deutschland unternahmen wir nicht geringe Anstrengungen, indem wir Gespräche unter Vertretern beider Diözesanstrukturen durchführten.

Dieser Entwicklung wurde durch die barbarische Vertreibung der Nonnen und Mönche der Auslandskirche aus dem Kloster an der Eiche von Mamre in Hebron im Juli 1997, die im Januar 2000 in der gewaltsamen Besetzung des Klosterhofes in Jericho ihre Fortsetzung fand, ein unerwartetes Ende bereitet. Nicht gering war unser Erstaunen, als wir im Jahre 2002 sahen, wie in den Gemeinden des Moskauer Patriarchats in England etwas Ähnliches vor sich ging. Das völlige Unverständnis der Psyche des westlichen orthodoxen Menschen führte dort zu traurigen Folgen.
Diese Beispiele zeigen deutlich genug, dass die Russische Kirche in Russland mit ihrem derzeitigen Personal die Gemeinden im Ausland nicht leiten kann. Sie verfügt dafür nicht über Menschen, die auf kirchlicher und weltlicher Ebene kompetent wären. Dennoch bewahrt ein Großteil unserer Geistlichen und Gemeindemitglieder das vormalige Verständnis, dass wir ein Teil der Russischen Kirche sind und dass es uns obliegt, an der Überwindung der im 20. Jh. entstandenen Trennungen zu arbeiten.

Um nicht nur von negativen Erscheinungen zu sprechen, halten wir es für unsere Pflicht, über mögliche Varianten nachzudenken. Uns erscheint die Erfahrung der Russischen Kirche in der Ukraine, in Lettland und Litauen außerordentlich wichtig. Ungeachtet der kleinen Mitgliederzahl dieser kirchlichen Strukturen überließ die Russische Orthodoxe Kirche diesen Diözesen autonomen Status allein wegen des staatlichen Drucks seitens der neu entstandenen selbständigen Staaten. Der ausländische Teil des Moskauer Patriarchats wie auch die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland sind zahlenmäßig wesentlich größer als die genannten autonomen Kirchen (außer der Ukraine). Daher halten wir die Bildung autonomer Diözesen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland als den natürlichen Weg der Lösung unserer Probleme. Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland kann als ein Ganzes ihren eigenen Metropolitankreis bilden und mit der Russischen Orthodoxen Kirche in Russland in eucharistische Gemeinschaft treten. Danach sollte man Statuten erarbeiten, ähnlichen denen, die als Grundlage der Kirche in der Ukraine, in Lettland oder der Diözese von Sourozh des Moskauer Patriarchats dienten, nach denen diese im Ausland befindlichen Diözesen sich gemäß ihren eigenen Statuten nach ihren Regeln verwalten werden, ohne Einmischung seitens kirchlicher oder staatlicher Behörden in Russland, wobei sie allerdings vor dem Konzil der Russischen Orthodoxen Kirche Rechenschaft ablegen werden und das Recht haben, schwierige Fragen dem Synods vorzulegen. In Abhängigkeit von der Erreichung äußerer Formen der Entfernung oder Nähe könnte man auch die Anwesenheit der entsprechenden Vertreter als Mitglieder des Synods gestalten. Auf diese Weise kann die kanonische Einheit der Russischen Kirche unter größtmöglicher Bewahrung der örtlichen Besonderheiten, die sich in unserem kirchlichen Leben zur Zeit der Verfolgungen in Russland entwickelt haben, bewahrt oder entwickelt werden.

Zweifellos haben wir uns mit vollem Recht gegenüber dem Moskauer Patriarchat noch vor 10-15 Jahren äußerst kritisch verhalten. Seitdem sind jedoch grundlegende Veränderungen eingetreten (u.a. in der quantitativen und qualitativen Zusammensetzung des Episkopats). Deutlich hat ein Gesundungsprozess eingesetzt und wird fortgeführt. Es gibt keine Gründe, dass wir uns von diesem Vorgang ausschließen oder – was noch schlimmer wäre – uns ihm in der Tat entgegenstellen sollten. Wir sind keine politische Organisation, sondern Leib Christi – und wir müssen dementsprechend miteinander verkehren wie unter Gliedern des einen Leibes, nach dem Wort des Apostels: damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit (1 Kor 12, 25-26).

Da wir uns lediglich als einen Teil der Russischen Orthodoxen Kirche betrachten, müssen wir auf Grund der kanonischen Regeln der Russischen Kirche selbst (Erlass Nr. 362 u.a.) anerkennen, dass das Moskauer Patriarchat einer der sich selbst verwaltenden Teile derselben Russischen Kirche ist, wobei wir einem künftigen Allrussischen Konzil überlassen müssen, festzustellen, ob es möglicherweise noch andere Teile unseres einen kirchlichen Leibes gibt.

Auf der Suche nach der Einheit dürfen wir nicht von „Unterordnung“, “Beiordnung“, „Wiedervereinigung“, „Verschlingen“ u.a.m. sprechen, sondern lediglich von demütiger gegenseitiger Anerkennung des Status von Teilen der einen Russischen Orthodoxen Kirche. Der Weg der Suche nach Einheit erscheint uns ausschließlich als konziliarer asketischer Vorgang, bei dem alle Teile der einen Kirche ihre Herkunft aus einer Quelle erkennen, wobei sie sowohl den eigenen Weg beachten, den sie unter den schrecklichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts durchlaufen haben, als auch den Weg der anderen Teile der Russischen Kirche, der unter extremen und in diesem Ausmaß in der Kirchengeschichte bisher nicht dagewesenen Bedingungen verlief.

Dabei nehmen wir alles auf diesem Weg gewonnene Positive an und lehnen alles Negative und Nichtkirchliche ab, was in unser kirchliches Leben eingedrungen ist, alles Fremde und von außen Aufgezwungene. Unter den gegenwärtigen Umständen sind wir berufen, einem Ziel zuzustreben: der Einheit in den Sakramenten, gemäß dem Geist, der Lehre und der Überlieferung unserer Russischen Kirche unter Bewahrung der Besonderheiten der kirchlichen Erfahrung unserer Wege und auf der Grundlage der jetzigen, organisch gewachsenen Strukturen. Unser Ziel kann nicht in der Auslöschung der Lebenserfahrung irgendeines der Teile der Kirche beschlossen sein, sondern muss sich an der zielstrebigen Entwicklung der Mission der Kirche Christi sowohl in unserer historischen Heimat als auch im Ausland gesehen werden, zum Wohl des gläubigen Volkes, das nach Verkirchlichung strebt, und das in allen Ländern der Welt eine einheitliche Herde der Russischen Kirche insgesamt bildet.

Grundsätzlich stellt sich uns die Frage: Wollen wir an den Prozessen teilhaben, die im Leben und der Entwicklung unserer Kirche in Russland ablaufen, oder nicht. Halten wir uns weiterhin für einen Teil der Russischen Kirche? Das Beispiel des Berg Athos zeigt, dass die Mönche, die sich in Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel befinden, mehr Einfluss auf das Leben der Kirche im Ganzen ausüben, als diejenigen, die die Kommemoration ablehnen. Über Jahrzehnte haben wir für das leidende Russische Land und sein orthodoxes Volk gebetet. Dürfen wir die Gemeinschaft jetzt ablehnen, wo verhältnismäßige Freiheit eingetreten ist? Dürfen wir nebenbei stehen?

Lassen wir uns nicht blenden, wenn wir weiterhin auf der Forderung nach Buße bestehen? Reue muss man von sich selbst fordern. Anderen aber sollten wir entgegengehen wie zu einer ehrbaren und reinen Hochzeit, mit der Bereitschaft, sich selbst zu opfern um Gottes willen, um der Wahrheit willen, um der Einheit unserer ruhmreichen Russischen Orthodoxen Kirche willen.

Häufig und vielleicht allzu leichtfertig verweisen wir auf die Heilige Rus‘. Sie ist doch sicher zunächst in den Himmeln zu suchen, anstatt irgendwo in der historischen Vergangenheit, oder in der Zukunft auf der Erde. Das Bild der Heiligen Rus‘ sehen wir in den Leben der russischen Heiligen, und sehr deutlich in der Vita der heiligen Leidensdulder Boris und Gleb (Roman und David). Herrliche, wunderbare, unsterbliche Vorbilder der Sanftmut, Reinheit und Demut. Selbst die Mörder des heiligen Boris waren auf ihre Weise fromm: sie wagten nicht einzutreten und warteten neben dem fürstlichen Zelt, bis der Morgengottesdienst abgeschlossen war, den ein Priester feierte, während der Fürst selbst die Psalmen sang und den Kanon las. Diese kurz nach dem Tod der heiligen Leidensdulder verfasste Lebensbeschreibung atmet den Geist heiliger orthodoxer Demut. Da ist noch nicht die Rede von irgendeiner Größe außer der Größe der Heiligkeit, da ist nur eines vonnöten: die Rettung der Seele. Das ist die Orthodoxie unserer Väter und Vorväter, die ein neues, himmlisches Vaterland fanden und nicht mehr nach Macht und irdischem Ruhm strebten. Dort, in dieser Vita, findet sich das Gebet der Zeitgenossen der heiligen Boris und Gleb um die Fürsprache der Heiligen im Gebet und das Gebet zum Heiland: „Gebieter, Du Einzig Sündloser, schau von Deinem heiligen Himmel auf uns Armselige herab. Wir haben gesündigt – reinige uns, wir waren gesetzlos – sei nachsichtig, wir sind gestrauchelt – eile nicht, reinige uns wie die Unzüchtige und wie dem Zöllner vergib. Mag Deine Barmherzigkeit kommen, mag sich Deine Menschenliebe über uns ergießen, verlasse uns nicht in unseren Sünden, überantworte uns nicht dem bitteren Tod, sondern erlöse uns von dem Bösen dieses Zeitalters, schenke Zeit zur Buße, denn groß ist unsere Gesetzlosigkeit vor Dir, Herr. Verfahre mit uns barmherzig, Herr, denn wir rufen zu Dir. Erbarme Dich unser, sei barmherzig, nehme an die Gebete Deiner ehrwürdigen Leidensdulder, übergib uns nicht der Schande, sondern gieße aus Deine Güte über die Schafe Deiner Herde, denn Du bist unser Gott, wir senden wir Lobpreis empor, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“.


Rechnen Sie es mir nicht als mangelnde Bescheidenheit an, wenn ich wage, ein solches Gebet vorzuschlagen, das wir nach beinahe tausend Jahren nach dem Märtyrertod der hll. Boris und Gleb an den Herrn richten können, im Vertrauen nicht nur auf ihre Fürbitte, sondern auf die inbrünstigen Gebete aller heiligen Leidensdulder und Neumärtyrer des russischen Landes – für den Beginn des Prozesses der ehrlichen Klärung der Vorbedingungen und möglichen Wege zur Einheit der Russischen Kirche.


1 Protokoll Nr. 5 vom 3./16. Oktober 1953, S. 3.
2 Ibid. S. 20.
3 Ibid. S. 21.
4 Ibid. S. 15.
5 Anlagen zu dem Protokoll des Konzils 1953.
6 Protokoll des Bischofskonzils 1971 vom 1./14. September, S. 6-7.
7 Russisches Staatsarchiv (GARF), F. 6343, op. 1, Bl. 23 umseitig, Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland 1938, Protokoll Nr. 8, 16. Aug. 1938.
8 Die Zitate aus den Protokollen der Bischofskonzile sind der Arbeit der rassophoren Nonne Vassa (Larin) entnommen.
9 Beschluss des Bischofskonzils vom 31. Juli/13. August 1983.
10 “Pravoslavnoe Obozrenie”, No. 51/1980, S. 57-136.
11 Ebenda S. 60-61.
12 S. Trullisches Konzil, Kanon 59.
13 Zizioulas, Johannes, D., Die eucharistische Gemeinschaft und Katholizität der Kirche, zit. nach Sabornost Crkve, Belgrad 1986, in serbischer Sprache, S. 144.
14 Ibid. S. 156.

 

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