Orthodoxes Treffen - 2000

Sonntag, den 24. Dezember 2000 um 21:12 Uhr
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Eröffnung des Orthodoxen Treffens: Erzbischof Mark und der Leiter der westeuropäischen Diözese von der serbischen Kirche Bischof Konstantin Die jährliche orthodoxe Tagung in München wurde am Dienstag den 26. Dezember 2000 mit einem Moleben (Bittgottesdienst) zu den russischen Neumärtyrern und Bekennern und dem Heiligen Nikolaus eröffnet, den Schutzpatronen der Münchner Kathedralkirche. Anwesend waren S. E. Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland, und S. E. Konstantin, Bischof von Westeuropa (Serbische Orthodoxe Kirche), mit seinem Diakon. Die aus verschiedenen Gegenden Deutschlands und manche auch aus dem Ausland gekommenen Teilnehmer sangen beim Gottesdienst alle gemeinsam, so daß die versammelte Gemeinde gewissermaßen einen großen Chor bildete. Wie in den vorhergehenden Jahren nahmen etwa 100 Personen an der Tagung teil. Gemäß der bestehenden Tradition wurde im Verlauf des Treffens jeden Tag der Abendgottesdienst, der Morgengottesdienst und die Liturgie zelebriert; die Teilnehmer hatten die Möglichkeit zu beichten und zu kommunizieren.

Themen:

Den ersten Vortrag am Dienstag abend hielt Erzpriester Nikolai Artemoff. Angesichts der Tatsache, daß in unserer Zeit viele noch nicht so lange in der Kirche sind, hielten es die Veranstalter für angebracht, den Teilnehmern eine Auslegung der Göttlichen Liturgie anzubieten. Im ersten Vortrag zu diesem Thema machte Vater Nikolaj die Zuhörer mit dem sichtbaren, äußeren Ablauf der Liturgie bekannt, und verwies gleichzeitig auf die symbolische Bedeutung der einzelnen Handlungen. Der Referent begann mit der Unterweisung des Hl. Apostels Philipp, des Diakons, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird und vom 53. Kapitel des Propheten Jesaja ausging, und verband diese mit der Proskomidie (d.h. der Zubereitung von Brot und Wein), vor Eröffnung der eigentlichen Liturgie. Des weiteren ging es um die Bedeutung des Brotbrechens für die Kirche, und wie es in der Liturgie ausgeführt wird. Herausgestellt wurde auch die Bedeutung der Einheit der irdischen und himmlischen Kirche, die sich in diesem Mysterium des Heiligen Ortes offenbart, zum Beispiel im Gesang des "Dreiheilig" wie dem aus dem Propheten Jesajas stammenden Engelsruf "Heilig, heilig, heilig..." (Jes. 6, 3), der im eucharistischen Kanon vorkommt, als Mittelpunkt der Liturgie, und auch im "Cherubimgesang". Nachdrücklich wurde dargelegt, daß man die Liturgie nicht als eine Art Mysterienspiel verstehen darf, das in etwa die Biographie Christi abbilden würde, sondern als eine lebendige Ganzheit höherer Ordnung.

Am nächsten Tag nach dem Morgengottesdienst und der Göttlichen Liturgie hielt ein Gast aus Moskau, Erzpriester Alexej Baburin (MP), ein Psychiater und Narkologe mit langjähriger praktischer Erfahrung, einen Vortrag zum Thema "Geistliche Aspekte der Drogensucht". Vater Alexej zog eine Parallele zwischen der raschen Ausbreitung der Drogensucht, des Alkoholismus, des zunehmenden Hangs zu Magie und Okkultismus in unserer Zeit und der in den alttestamentarischen Makkabäerbüchern beschriebenen Verbreitung des hellenischen Dionysos-Kultes in Palästina zur Regierungszeit des Antiochus Epiphanes. Der Referent wies überzeugend auf, daß der an der Schwelle des dritten Jahrtausends sich heftig zuspitzende Kampf des Heidentums mit dem Christentum eine Fortsetzung gerade desjenigen Kampfes ist, den der Feind des Menschengeschlechts zuerst mit dem auserwählten Volk Gottes führte. Dazu verwendete er den Kult des Dionysios und ähnliche Kulte mit anderen Bezeichnungen. Dann kämpfte der Böse mit den Christen - angefangen vom Märtyrerpriester Mokias, der Ende des dritten Jahrhunderts in Byzanz aufgrund der Anklage von heidnischen Bacchusanbetern enthauptet worden war, bis hin zu dem im 18. Jahrhundert lebenden russischen Heiligen Tichon von Voronezh, einem furchtlosen Kämpfer gegen Trunksucht und Ausschweifung bei Festen zu Ehren des Jarila (ein russischer Nachfahre des antiken Dionysos). Der hl. Tichon mußte sich auf eine Anzeige von Steuereintreibern zur Ruhe setzen, die ihn der Schädigung "staatlicher Interessen" bezichtigt hatten.

Dann berichtete der Vortragende über die Entstehungsgeschichte der Gesellschaften der Nüchternheit in Rußland und die große Kraft der Abstinenzbewegung unter der Schirmherrschaft der Kirche, die mit Errichtung des atheistischen Regimes zum Erliegen gekommen war.

Der geistliche Aspekt des Drogen- und Alkoholproblems ist schon in praktischer Hinsicht bedeutsam: Wenn der Mensch begreift, daß der Gebrauch von Narkotika (d.h. jeglicher sogenannten psychoaktiven Mittel) ihn der Macht des Teufels übergibt, dann kann er sinnstiftend für sein einzigartiges Leben, in der Haltung der Reue vor Gott über die begangenen Sünden und mit der segensreichen Hilfe Gottes sein Verhalten ändern. Ohne diese Hinwendung zu Gott und die Rückkehr in den Schoß der orthodoxen Kirche ist eine echte, vollständige Heilung nicht möglich. Methoden, die Gott "außen vor lassen" können zwar helfen, mit dem Gebrauch von Narkotika aufzuhören, aber sie können nicht die Leidenschaftlichkeit selbst heilen. Der eine Dämon überläßt seinen Platz einfach einem anderen. Keine Narkotika, dann Seitensprünge; keine Seitensprünge, dann Glücksspiele, usw. (hier könnte man anfügen, daß jegliche Beschäftigung, die den Menschen von Gott wegführt, leidenschaftlich und seelenverderblich ist - sogar dann, wenn der einstige Drogenabhängige sich völlig - um nur ein Beispiel zu nennen - nicht Seitensprüngen, sondern sportlicher Betätigung, der Wissenschaft oder der Politik hingibt, ohne Gott vor Augen zu haben). Drogensucht ist an eine besondere Art von Pseudogeistigkeit gebunden - an die Metaphysik des Selbst. Sie führt zum Abfall von Gott, zum Kampf gegen Gott und zum Tod.

Im zweiten Teil seines Vortrags berichtete Vater Alexij aus seiner elfjährigen Erfahrung mit der Arbeit im narkologischen Dienst orthodoxer Gemeinden und den praktischen Mitteln, die bei der Bekämpfung von Drogensucht und Alkoholismus angewandt werden. Er drückte sein Bedauern darüber aus, daß die Geistlichkeit, die sich dem heiligen Werk widmet, Suchtkranken zu helfen, manchmal ausländische Programme benützt, die auf außerkirchlichem Boden entstanden und auf ein völlig anderes, fremdes soziales Umfeld zugeschnitten sind, während die Russische Orthodoxe Kirche aus ihren eigenen reichen Traditionen und Möglichkeiten schöpfen kann. Der Referent erzählte ausführlich von der Arbeit der an der Kirche des hl. Nikolaus in Romaschkovo gegründeten Gemeinschaft der Nüchternheit, die von Anfang an orthodox war, obwohl sie in ihrer Tätigkeit auch gewisse Elemente eines europäischen Programms verwendete. Bei den Treffen mit den Mitgliedern der Gemeinschaft führt Vr. Alexij jedes Mal ein Glaubensgespräch. Als Arzt und Narkologe erklärt er die medizinische Seite des Alkoholismus, als Priester zeigt er die geistlichen Ursachen der Entwicklung dieser Leidenschaft auf. Einige Treffen sind eigens der Analyse der Gesetzmäßigkeiten bei der Entstehung und Entwicklung von Leidenschaften gewidmet sowie den asketischen Wegen des Kampfes mit ihnen und gründen sich auf die Werke der heiligen Väter. Die Mitglieder der Gemeinschaft unternehmen Pilgerreisen zu heiligen Orten; einmal im Monat hält man in der Gemeinde ein eigenes Moleben vor der Muttergottesikone "Nie leer werdender Kelch" für die an der Trunksucht Leidenden.
Erzpriester Alexej Baburin bei seinem Vortrag über die geistlichen Aspekte der Bekämpfung der Drogensucht
Allmählich beginnen die neuen Mitglieder der Gemeinschaft zu begreifen, daß man vom Alkoholismus nur mit der Hilfe Gottes genesen kann, durch Umkehr und ständiges Gebet. So kommt der Mensch durch die Überwindung der Sucht zur Kirche. Die Teilnehmer der Tagung folgten Vater Alexis Bericht mit aufrichtiger Sympathie und wünschten ihm von ganzem Herzen Gottes Hilfe auf dem schwierigen Weg, den er eingeschlagen hat.

Am Donnerstag morgen erwarteten die Teilnehmer der Tagung gespannt den Vortrag des Neurobiologen S. L. Mironov über den gegenwärtigen Stand der Biologie, und diese Erwartungen erfüllten sich in der Tat - der Referent gab den Hörern kompetent und verständlich, teils mit leichtem Humor, über die Fragen Auskunft, die in der letzten Zeit Gegenstand rücksichtsloser und unwissender Spekulationen in den Medien gewesen sind.

Der abschließende Vortrag von Erzpriester Nikolai Artemoff über die "Mystagogie" (Auslegung der Liturgie) des hl. Maximos Confessor (7. Jh) brachte die Zuhörer von den erschütternden und bisweilen auch erschreckenden Perspektiven der heutigen Molekularbiologie und Genetik wieder auf den vertrauten Boden der orthodoxen kirchenväterlichen Tradition, wobei er andeutungsweise auch den oben genannten Aspekt miteinschloß. Hier bestätigte Vater Nikolai anhand des Textes der "Mystagogie" die im ersten Vortrag ausgesprochene Auffassung, nach der ein im Hinblick auf das Leben Jesu Christi nachzeichnend "biographisches" Verständnis der Liturgie den eigentlichen Sinn der Liturgie als einer Ganzheit höherer Ordnung aus dem Blick verliert. Er bedauerte, den asketisch- psychologischen Teil dieser Auslegung aus Zeitgründen beiseitelassen zu müssen und versuchte, den Zuhörern die Struktur dieses schwierigen Textes nahezubringen, weil er seinen Vortrag lediglich als eine Einführung zu der anempfohlenen vertieften Lektüre der "Mystagogie" verstanden wissen wollte.

Der Hl. Maximos sieht die Liturgie als eine allumfassende Wiederherstellung der göttlichen Ordnung, die einst durch die Sünde gebrochen wurde und auch heute von uns ständig gebrochen wird. Deshalb ist die Liturgie die Quelle des Lebens – nicht nur als des Daseins (der Existenz, einai), und sei es auch eines ewigen, sondern als des Wohl-Seins (eu-einai) mit unserer ewigen Vervollkommnung in Gott. In der Struktur der Liturgie selbst wird, wie dargestellt wurde, die Fleischwerdung Christi, die Auferstehung, Himmelfahrt und die Zweite Wiederkehr (das Gericht) umfaßt gemäß ihrem inneren Sinn, und zwar nicht als einzelne, getrennte Etappen im Verlauf des Gottesdienstes, sondern innerhalb dieser jeweiligen Teile der Liturgie ganzheitlich. Für den hl. Maximos Confessor ist dies verbunden mit der Existenzweise Christi des Schöpfers als dem Logos (dem Wort Gottes) und unserer vielgestaltigen Logoi, unserer lebensgestaltenden Sinngebungen, da wir wort- und vernunftbegabte Geschöpfe sind. Deshalb finden wir den Ursprung ebenso wie den Kranz eines jeden Sich-Ordnens und jeglicher wahrer Ordnung in der Göttlichen Liturgie.

Nach diesem letzten Vortrag folgte, wie gewöhnlich, eine abschließende Diskussion mit Vorschlägen zu Themen der nächsten Tagung. Erzbischof Mark dankte allen für die aktive Teilnahme an den Diskussionen und dankte insbesondere der Schwesternschaft der Kathedralkirche, die sich aufopferungsvoll um eine gute Verpflegung der Teilnehmer in diesen Tagen mühte. Nach einem abschließenden Gebet machten sich die Teilnehmer geistig bereichert und voll neuer Eindrücke aus dieser Begegnung auf den Heimweg.
Einer der Teilnehmer

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